Wie „kostenlos“ ist die öffentliche Bildung? Die versteckten Kosten der kostenlosen Bildung in Kenia

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Kenia hat sich wie alle anderen afrikanischen Länder verpflichtet, im Rahmen der kontinentalen Bildungsstrategie der Afrikanischen Union (AU) eine 12-jährige Grund- und Sekundarschulbildung für alle Kinder zu garantieren (Human Rights Watch, 2024). Trotz dieser Zusage und sichtbarer innenpolitischer Bemühungen, „kostenlose“ Bildung zu gewährleisten und anzubieten, hindern versteckte Kosten nach wie vor eine große Zahl an Kindern daran, Zugang zu Bildung zu erhalten. Solange diese Kosten nicht gedeckt werden, besteht die Gefahr, dass das Bildungssystem des Landes in Frage gestellt wird und die Kinder, die am stärksten benachteiligt werden, von zukünftigen Chancen ausgeschlossen werden. 

Die kenianische Bildungspolitik und internationale Verpflichtungen

Afrika hat den höchsten weltweiten Anteil an Kindern, die nicht zur Schule gehen; fast 100 Millionen Kinder im Grund- und Sekundarschulalter besuchten im Jahr 2021 keine reguläre Schule (Human Rights Watch, 2024). Angesichts dieser Situation hat der Tag des afrikanischen Kindes 2024 „Bildung für alle Kinder in Afrika“ als zentrales Thema gewählt (Human Rights Watch, 2024). 

Kenias gesetzlicher und politischer Rahmen bietet eine Reihe von Sicherheiten und Privilegien für alle Kinder, die Zugang zur Bildung suchen. Auf internationaler Ebene hat Kenia die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (UNKRK) und die Afrikanische Charta über die Rechte und das Wohlergehen des Kindes (ACWRC) unterzeichnet, aus denen das Land grundlegende Menschenrechte für Kinder entnimmt. Kenia hat sich außerdem verpflichtet, auf das Ziel für nachhaltige Entwicklung (SDG) 4 hinzuarbeiten, das besagt, dass Staaten den Zugang zu inklusiver, gleichberechtigter und qualitätsvoller Bildung für alle sicherstellen sollen. 

Kenias Verfassung aus dem Jahr 2010, der Children’s Act (2001) und die National Children Policy (2010) bilden den zentralen nationalen Rechtsrahmen. Ergänzt werden diese durch gesetzliche Maßnahmen in den Bereichen Grundbildung, Lehrerbetreuung, besondere Bildungsbedürfnisse, alternative Angebote und nomadische Bildung (National Council for Children’s Services, 2015).

Artikel 53 der kenianischen Verfassung garantiert jedem Kind eine Grundbildung – ein Begriff, der oft mit Grundschulbildung gleichgesetzt wird. Dies ist im Bildungsgesetz verankert, das den Erhalt von Bildungssystemen, Ressourcen und Verwaltungsstrukturen vorsieht, um eine kostenlose Bildung zu gewährleisten (Sustainable Development Goals Knowledge Platform, 2020).

Durchführung und Auswirkungen der politischen Maßnahmen für kostenlose Bildung in Kenia

Insgesamt unterstützen diese Maßnahmen das Ziel der Regierung, kostenlose Bildung für alle zu gewährleisten und insbesondere eine hundertprozentige Quote beim Wechsel von der Primar- zur Sekundarstufe zu erreichen (Sustainable Development Goals Knowledge Platform, 2020). Dies ist Teil von Kenias Leitvision 2030, einem Entwicklungsrahmen, der dem Land einen Fahrplan für Entwicklung und Wohlstand vorgibt. Kenias Bemühungen um eine kostenlose Grundschulbildung sind bei der Umsetzung der Strategie offensichtlich. 

Seit den 1970er Jahren hat das Land die Bildung auf allen Ebenen subventioniert und ist 1986 zu einer Bildungspolitik mit voller Kostenbeteiligung übergegangen (Areba, 2011). Im Jahr 2003 führte Kenia die kostenlose Grundschulbildung ein. Dies führte zu einem sofortigen Anstieg der Neuzugänge auf 84 % (UKAID, 2024). Darauf folgte die Einführung der kostenlosen Sekundarschulbildung im Jahr 2007 (Areba, 2015). 

Eine solide Politik in Verbindung mit konsequenten Bemühungen hat in den letzten Jahren weiterhin sichtbare Früchte getragen. Im Jahr 2022 waren rund 93 % der Kinder des Landes in der Grundschule eingeschrieben (UNICEF, 2022). Dies spiegelt einen in den 2010er Jahren festgestellten Aufwärtstrend bei der reinen Grundschulanmeldung wider (Sustainable Development Goals Knowledge Platform, 2020).

Auch die Abschlussquote der Kinder in der Grundschulausbildung ist beeindruckend: 2019 schlossen über 85 % der Kinder die Grundschule ab (Sustainable Development Goals Knowledge Platform, 2020). Zwischen 2018 und 2020 stieg auch der Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler, die von der Grundschule in die weiterführende Schule wechselten, von 83 % auf 95 % (Kibaara, 2021). 

Der Mythos der Zugangsfreiheit

Obwohl diese positiven Statistiken ermutigend sind, überschatten sie einen bedeutenden Teil der Kinder, die weiterhin keinen Zugang zur Primar- oder Sekundarschulbildung haben. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2022 zeigt, dass die Einschreibung in der Sekundarstufe landesweit bei knapp über 50 % liegt (UNICEF, 2022).

Darüber hinaus haben 2,5 Millionen Kinder zwischen 4 und 17 Jahren noch nie eine Schule besucht (UNICEF, 2022). Die Diskrepanz zwischen Kenias steigender Übergangsrate von der Grundschule in die weiterführende Schule und der nach wie vor hohen Zahl von Kindern, die keinen Zugang zur Bildung haben, kann zumindest teilweise auf versteckte Kosten zurückgeführt werden.

Obwohl die kenianische Regierung nach wie vor der finanzielle Hauptträger der kostenlosen Grund- und Sekundarschulbildung ist, haben die Schulen aufgrund wirtschaftlicher Herausforderungen und Mängel in der Bildungsinfrastruktur Wege gefunden, die Kosten auf die Kinder und ihre Familien abzuwälzen (Areba, 2011). Im Großen und Ganzen trägt die Regierung die Hauptverantwortung für die Gehälter des Schulpersonals und die Instandhaltung der Infrastruktur, was jedoch Spielraum für eine Reihe wichtiger, unverzichtbarer Kosten lässt, darunter (Areba, 2011):

  • Einschreibegebühren, einschließlich Vorstellungsgespräche und Anmeldekosten. 
  • Kosten für Schulmaterial, einschließlich Schulbücher und Hefte, Schreibwaren und Uniformen. 
  • Kosten für außerschulische Aktivitäten, Ausflüge und fächerbezogene Aktivitäten.
  • Zusätzliche Unterrichtskosten, sofern diese über die Grundversorgung mit Unterrichtsleistungen hinausgehen.
  • Prüfungsgebühren, darunter auch für wichtige Prüfungen, die den Aufstieg von der Grundschule in die weiterführenden Schulen ermöglichen. 
  • Praktische Kosten, etwa für den Transport zur und von der Schule und für das Schulgepäck. 
  • Unterkunft und Verpflegung, einschließlich Mahlzeiten für Tagesschülerinnen und -schüler, Bettwäsche für Internatsschülerinnen und -schüler. 
  • Kosten für die medizinische Versorgung bei Erkrankung oder Verletzung. 

Diese nicht vollständige Liste verdeutlicht die Komplexität der „kostenlosen“ Bildung. Während die wesentlichen Aspekte des Bildungsangebots kostenlos sein mögen, birgt das umfassende Spektrum der indirekten Kosten für Familien mitunter das Problem, dass große Teile der Bevölkerung von der Bildung ausgeschlossen werden. Diese Probleme werden durch die Sekundarschulbildung noch verschärft, die aufgrund einer größeren Anzahl von Fächern und schulischen Aktivitäten teurer ist. In den meisten afrikanischen Ländern machen die Schulgebühren weniger als 50 % der Ausgaben der Haushalte für die Sekundarbildung aus (Gruijters, 2023). 

Ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen 

Die versteckten Kosten, die viele Kinder vom Schulbesuch abhalten, betreffen zahlreiche Gemeinschaften in Kenia unverhältnismäßig stark:

  1. Verarmte Familien, die sich die indirekten Kosten in der Regel nicht leisten können. Das zeigt sich insbesondere, wenn landesweite Katastrophen oder Krisen die wirtschaftliche Anfälligkeit erhöhen. Nach der durch COVID-19 erzwungenen Schließung wurden die kenianischen Schulen im Jahr 2021 wiedereröffnet, und zwar in einem Umfeld, in dem 16 % der Mädchen und 8 % der Jungen im ganzen Land keine Schule besuchten (Kibaara, 2021). Damit verbunden war ein zunehmender, auf den Kindern lastender Druck, ihre Familien finanziell zu unterstützen, indem sie entweder selbst für Einkommen sorgen oder die Kosten durch die Vermeidung des Schulbesuchs senken. 
  2. Junge Frauen und Mädchen, die mit zahlreichen zusätzlichen kulturellen und praktischen Hindernissen konfrontiert sind, um einen Schulabschluss zu erreichen (Kibaara, 2021). Dazu gehören der Druck, Aufgaben im Haushalt zu übernehmen, die Kinderheirat und der Bedarf an Hygieneartikeln während der Pubertät (UKAID, 2024). Dieses Zusammenkommen von Faktoren kann Eltern und Bezugspersonen davon abhalten, in die Bildung von Mädchen zu investieren. 
  3. Kinder, die in ländlichen oder nomadischen Gemeinschaften leben, denen es schwerer fällt, den Schulweg zu bewältigen, oder die in Gebieten leben, die sich kulturell stark von Kenias Großstädten unterscheiden (UNICEF 2022). Mädchen in einigen der trockenen Grenzbezirke Kenias, die an Somalia grenzen, machen weniger als 30 % der Teilnehmerinnen an Schulprüfungen in der Sekundarstufe aus (UKAID, 2024). 

Strategische Maßnahmen

Die Bekämpfung der versteckten Kosten erfordert ein sektorübergreifendes Vorgehen. In vielen afrikanischen Staaten kann die Ressourcenknappheit in Kombination mit großen und jungen Bevölkerungen dazu führen, dass die öffentlichen Bildungsausgaben Investitionen in andere grundlegende, dringende nationale Bedürfnisse untergraben (Gruijters, 2023). Daher muss Kenia für Folgendes sorgen: 

  • Weitere Förderung von Partnern aus dem öffentlichen und privaten Sektor, um die Finanzierung der Grundbildung und die Beseitigung der Armut in gefährdeten Gemeinschaften zu unterstützen (Kibaara, 2021). 
  • Bemühung um die Subventionierung der wichtigsten Schulkosten, einschließlich Transport, Uniformen, Lehrmaterial und Schulmahlzeiten. 
  • Zusammenarbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern bei der Durchführung von Hilfsprojekten zur Verbesserung des Schulbesuchs und des Schulabschlusses. So unterstützte beispielsweise der World University Service Canada (WUSC) Kinder in den Flüchtlingslagern Kakuma und Dadaab durch Bargeldüberweisungen beim Zugang zu Bildung (McBride). Dies ermöglichte es den Familien, ihre dringendsten Bildungsbedürfnisse zu ermitteln und in diese zu investieren, z. B. in hygienische Belange und Nahrungsmittel für junge Mädchen
  • Die Schaffung solider Rückkehrmöglichkeiten, um sicherzustellen, dass Kinder nicht vom Bildungssystem entfremdet werden, wenn ihr Schulbesuch für längere Zeit unterbrochen ist.
  • Fortsetzung von Investitionen in digitale Kompetenzen und Online-Bildungsprogramme, um den Zugang zu Bildungsangeboten zu verbessern und indirekte Kosten zu sparen. Mit der Durchführung eines Teils des Unterrichts über das Internet oder dem Zugang zu technologischen Geräten können den Kindern und ihren Erziehungsberechtigten langfristig Kosten erspart werden. Im Rahmen des Digital Literacy Project der kenianischen Regierung wurden in den letzten sechs Jahren über 20.000 Schulen mit einer Million digitaler Tablets für den Unterricht ausgestattet (Sustainable Development Goals Knowledge Platform, 2020). 

Humanium ist bestrebt, das Bewusstsein für die Bedeutung der Rechte von Kindern auf Bildung, Gesundheit und sanitäre Versorgung zu stärken. Helfen Sie uns, die Rechte der Kinder auf ein sicheres Umfeld und eine zugängliche Bildung zu verwirklichen, indem Sie eine Patenschaft für ein Kind übernehmen, spenden oder sich ehrenamtlich engagieren.

Geschrieben von Vanessa Cezarita Cordeiro

Übersetzt von Claudia Flanner 

Korrektur gelesen von Jana Ruf

Literaturhinweise: 

Areba, G.N. (2011, November). “The hidden costs of free primary education and their implication on enrolment in Kisii central district, Kenya.” Retrieved from Kenyatta University Library, accessed 18 June 2024. 

Areba, G.N. (October, 2015). “Effects of hidden costs in free secondary education on transition and completion rates in public boarding schools in Kisii Country, Kenya.” Retrieved from Kabarak University Library, accessed 18 June 2024. 

Gruijters, R. (2023, May 31). “Free secondary education in African countries is on the rise – but is it the best policy? What the evidence says?” Retrieved from The Conversation, accessed 18 June 2024. 

Human Rights Watch. (2024, June 15). “Africa: accelerate free education for all.” Retrieved from Human Rights Watch, accessed 17 June 2024. 

Kibaara, J.M. (2021, October 3). “Kenya’s education goals face the challenges of affordability, traditions and COVID-19.” Retrieved from The Conversation, accessed 18 June 2024. 

Mararo, M. (n,d). “Silent suffering: Kenyan girls missing out of education.” Retrieved from Equal Measures 2030, accessed 17 June 2024. 

McBride, S. (n,d). “The Kenya equity in education project: cash transfers for education in prolonged refugee contexts.” Retrieved from Global Compact on Refugees, accessed on 17 June 2024. 

National Council for Children’s Services. (2015). “National Plan of Action for Children in Kenya.” Retrieved from Better Care Network, accessed 17 June 2024. 

Republic of Kenya. (2020, June). “Second voluntary national review on the implementation of the sustainable development goals.” Retrieved from Sustainable Development Goals Knowledge Platform, accessed 17 June 2024. 

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UNICEF Kenya. (2022, November). “Situation of children 2022.” Retrieved from UNICEF Kenya, accessed 20 June 2024.