Jedes Jahr sind Millionen von Kindern gezwungen, aus ihrer Heimat zu fliehen und in unbekannten Gebieten Zuflucht zu suchen, u. a. aufgrund von Konflikten, Verzweiflung, drohender Gefahr und Klimawandel. Kinder, die sich in einer prekären Lage befinden, sind auf der Suche nach Sicherheit und Stabilität. Aufgrund der Ungewissheit und Unvorhersehbarkeit dieser Reisen sind sie oft dem Risiko körperlicher und seelischer Schäden, Diskriminierung, Freiheitsentzug und Existenznot ausgesetzt.

Definition von Kindervertreibung
Der Begriff Kindervertreibung umfasst ein breites Spektrum von Situationen und Umständen, die Kinder als Teil einer größeren Gruppe von Menschen dazu zwingen, ihre Gemeinschaft dauerhaft zu verlassen. Die Vertreibung von Kindern erfolgt im Rahmen größerer Migrationswellen von Menschen. Aufgrund ihrer schwachen Position sind Kinder während der Migration stärker von Ausbeutung und Schaden bedroht.
Formen der Vertreibung von Kindern
Aufgrund der vielfältigen Ursachen, die Kinder und ihre Familien aus ihrer Heimat vertreiben, gibt es zahlreiche Formen der Kindervertreibung:
Interne Vertreibung (Binnenvertreibung)
In den international geltenden Leitprinzipien für Binnenvertriebene werden Binnenvertriebene definiert als „Personen oder Personengruppen, die insbesondere als Folge oder zur Vermeidung der Auswirkungen von bewaffneten Konflikten, Situationen allgemeiner Gewalt, Menschenrechtsverletzungen oder natürlichen oder vom Menschen verursachten Katastrophen gezwungen waren oder sind, zu fliehen oder ihre Häuser oder ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort zu verlassen, und die keine international anerkannte Grenze überschritten haben“ (Economic and Social Council of the United Nations, 1998).
Geplante Vertreibung
Obwohl es keine allgemein anerkannte Definition von geplanter Vertreibung (oder geplante „Umsiedlung“) gibt, wird der Begriff üblicherweise verwendet, um Situationen zu beschreiben, in denen Regierungen absichtlich die Umsiedlung von Gemeinschaften von ihrem Wohnort in ein neues Gebiet planen und durchführen (UNHCR, 2012).
Diese Umsiedlung wird in der Regel mit dem Wunsch begründet, Menschen vor Gefahren zu schützen – etwa vor Umweltveränderungen, die einen Ort unbewohnbar machen – oder große Infrastrukturprojekte zu ermöglichen: Dies wird oft als entwicklungsbedingte Zwangsvertreibung und Umsiedlung bezeichnet (DFDR – development-forced displacement and resettlement) (UNHCR, 2012).
Unbegleitete Kinder
Laut dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) sind unbegleitete oder „getrennte“ Kinder, „die von beiden Elternteilen oder ihren ursprünglich gesetzlichen oder tatsächlichen Hauptbezugspersonen, aber nicht notwendigerweise von anderen Verwandten getrennt sind (UNHCR, 2021). Es kann sich also auch um Kinder handeln, die von anderen erwachsenen Familienmitgliedern oder Betreuungspersonen begleitet werden.“ Unbegleitete Kinder ist ein allgemeiner Begriff für die Vertreibung von Kindern.
Flüchtlingskinder
Flüchtlinge werden international als Personen anerkannt, „die vor Konflikten oder Verfolgung fliehen mussten und auf der Suche nach Sicherheit eine internationale Grenze überschritten haben“ (UNHCR, 2024). Das Element des Grenzübertritts unterscheidet Flüchtlinge von anderen Kategorien von Migranten und Vertriebenen.
Globale Schätzungen zur Vertreibung von Kindern
Ungefähr 40 % der weltweit vertriebenen Personen sind Kinder (UNHCR, n.d). Ende 2022 schätzte das UNHCR, dass es weltweit etwa 43,3 Millionen Kinder gibt, die gewaltsam vertrieben wurden (UNHCR, 2023). Etwa 60 % dieser Kinder wurden infolge von Konflikten und Gewalt vertrieben (UNHCR 2023).
Diese Zahl umfasst 17,5 Millionen Flüchtlinge und Asylbewerber: 14,2 Millionen Flüchtlingskinder, 1,8 Millionen registrierte palästinensische Kinder und 1,5 Millionen Kinder, die Asyl suchen (UNICEF, 2024). Zwischen 2010 und 2022 hat sich die Zahl der vertriebenen Kinder von 20,6 Millionen auf 43,3 Millionen Kinder verdoppelt (UNICEF, 2024). Die Mehrheit der vertriebenen Kinder kommt aus Syrien (2,99 Millionen), der Ukraine (2,02 Millionen), Afghanistan (2,61 Millionen) und dem Südsudan (1,35 Millionen) (UNICEF, 2024). Diese Statistiken unterstreichen die entscheidende Rolle von Gewalt und Konflikten als starke Triebkraft für erzwungene Migration.
Ursachen für die Vertreibung von Kindern

Konflikte, Gewalt und innere Unruhen
Kriege, Konflikte und Unruhen können Kinder und ihre Gemeinschaften dazu zwingen, aus ihren gewohnten Gemeinschaften und ihrer Heimat zu fliehen, um Sicherheit zu finden. Ein treffendes Beispiel ist der Krieg in der Ukraine, der seit seinem Beginn im Jahr 2022 über 2 Millionen Kinder vertrieben hat (UNICEF, 2024).
Klimawandel und Umweltkatastrophen oder vom Menschen verursachte Katastrophen
Aus einem Bericht aus dem Jahr 2023 geht hervor, dass in den letzten sechs Jahren mehr als 40 Millionen Kinder durch wetterbedingte Katastrophen vertrieben wurden, wobei 95 % dieser Vertreibungen auf Überschwemmungen und Stürme zurückzuführen sind (UNICEF, 2023). Die zunehmende Häufigkeit von Naturkatastrophen aufgrund des Klimawandels bringt Kinder weiterhin in die Gefahr der Vertreibung aus ihren Häusern.
Verfolgung und gezielte Angriffe
Abgesehen von regionalen oder landesweiten Kriegen und Konflikten können Kinder gezwungen sein, aus ihrer Heimat zu fliehen, wenn sie, ihre Familien oder ihre Gemeinschaften von Verfolgung bedroht sind. Dies kann auf diskriminierende Praktiken wie ethnische oder religiöse Verfolgung oder auf die Androhung von Gewalt und Schaden aufgrund persönlicher Konflikte zurückzuführen sein.
Zerrüttung und Trennung
Kinder können auch gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben werden, wenn es zu Unruhen in den Gemeinden kommt. Dazu gehören auch Fälle von geplanter Vertreibung, bei denen Regierungen Gemeinschaften im Rahmen geplanter Infrastrukturprojekte aus ihren Häusern zwingen.
Risiken und Auswirkungen der Vertreibung von Kindern
Durch die erzwungene Vertreibung sind Kinder dem Risiko körperlicher und seelischer Schäden ausgesetzt, und zwar sowohl während des Transits als auch nach der Ankunft am neuen Zielort. Die wichtigsten Risiken und ihre Folgen lassen sich wie folgt gruppieren:
Missbrauch und Ausbeutung
Wenn Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung entfernt werden, erhöht sich das Risiko, dass sie missbraucht und ausgebeutet werden. Für Kinder kann es schwierig sein, Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheit, Staatsbürgerschaft und Bildung zu erhalten, wenn sie vertrieben wurden. Sie können auch in einem Umfeld untergebracht werden, in dem sie sich aufgrund kultureller, religiöser und sprachlicher Unterschiede nicht anpassen können. Diese Bedingungen können ein gefährdetes Umfeld für Kinder schaffen und sie anfälliger für Missbrauch und Ausbeutung durch andere machen.
Kinder-, Früh- und Zwangsheirat (CEFMU)
Kinder, die gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben wurden, sind möglicherweise einem größeren Risiko der Kinderheirat ausgesetzt, wenn sie aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen werden. Außerdem sind Kinder möglicherweise stärker von Ausbeutung bedroht, weil es an ihrem neuen Wohnort keine relevanten Unterstützungsnetze gibt oder diese nicht zur Verfügung stehen (UNICEF, 2024). Angesichts wirtschaftlicher Schwierigkeiten können Familien ihre Kinder auch dazu drängen, zu heiraten, wenn sie glauben, dass sie dadurch mehr finanzielle Stabilität und Sicherheit erhalten.
Kinderarbeit
Zwangsvertreibung geht oft mit Armut und finanziellen Problemen einher. Dieser Einkommensverlust der Familien kann sie dazu bringen, ihre Kinder arbeiten zu lassen, anstatt zu versuchen, ihnen eine Ausbildung zu ermöglichen (DeCID, n.d).
Kinderhandel
Die Vertreibung von Kindern erfolgt oft ungeplant und sporadisch als Reaktion auf Krisen und andere unvorhergesehene Ereignisse. Infolgedessen gibt es nicht immer formale und legale Kanäle, die eine schnelle Migration der Bevölkerung erleichtern. Dies kann Familien dazu zwingen, sich illegalen Transitmechanismen zuzuwenden, wodurch Kinder dem Risiko des Menschenhandels ausgesetzt werden.
Armut
Familien und Kinder, die aus ihrer Heimat vertrieben werden, sind eher mit finanziellen Problemen konfrontiert, da sie ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können und mit der Umgebung des Ziellandes nicht vertraut sind. Dies kann zu Ernährungsunsicherheit und einem Mangel an anderen Grundbedürfnissen führen und die Familien zu anderen riskanten Verhaltensweisen treiben.
Staatenlosigkeit
Flüchtlingskinder – insbesondere diejenigen, die ihre Staatsangehörigkeit nicht nachweisen können – haben es unter Umständen schwer, in einem neuen Land die Staatsangehörigkeit zu erwerben. Dies kann den Kindern den Zugang zu anderen lebenswichtigen Leistungen wie Gesundheitsversorgung, Sozialhilfe und Bildung erschweren (Stateless Journeys, n.d).
Wichtige Dokumente und internationale Rechtsinstrumente
Es gibt verschiedene internationale Rechtsinstrumente, die Kinder von Migranten und Vertriebenen anerkennen und auf sie eingehen. Gemeinsam bieten diese Instrumente eine Rechtsgrundlage, um Länder für ihr Handeln oder Nichthandeln in Bezug auf den Schutz von Kindern vor Vertreibung zur Verantwortung zu ziehen.
Die Instrumente umfassen ein breites Spektrum an Empfehlungen: von Leitprinzipien für die Unterstützung von und den Umgang mit vertriebenen Kindern bis hin zu grundlegenden Kinderrechtsmechanismen, die eingeführt werden können, um Vertreibung von vornherein zu verhindern.
Dabei handelt es sich um wichtige Dokumente und internationale Rechtsinstrumente zum Schutz der Rechte vertriebener Kinder:
- Behördenübergreifende Leitprinzipien für unbegleitete und von ihren Familien getrennte Kinder
- Die Afrikanische Charta über die Rechte und das Wohlergehen des Kindes
- Die Konvention über die Rechtsstellung von Flüchtlingen
- UNHCR-Leitlinien zu Richtlinien und Verfahren im Umgang mit unbegleiteten, asylsuchenden Kindern
- UNHCR: Leitlinien für den Schutz und die Betreuung von Flüchtlingskindern
- Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes
- Fakultativprotokoll der Vereinten Nationen zu den Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten
- Fakultativprotokoll der Vereinten Nationen betreffend den Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornographie
Strategien und Lösungen für den Umgang mit der Vertreibung von Kindern

Die nationalen Maßnahmen, um die Vertreibung von Kindern zu verhindern und den Opfern zu helfen, sind auf die lokalen Gegebenheiten zugeschnitten. Es gibt jedoch gemeinsame und erfolgreiche Strategien, die weltweit umgesetzt werden:
- Bekämpfung der Ursachen von Kindervertreibung: Kindervertreibung sollte ganzheitlich angegangen werden: als Symptom einer zugrunde liegenden Krankheit. Das bedeutet, dass man sich mit den allgemeinen Bedingungen befassen muss, die die Wahrscheinlichkeit der Vertreibung von Kindern erhöhen: Unruhen und Konflikte, Wellen kultureller oder religiöser Verfolgung, staatliche Maßnahmen, die die Trennung von Familien fördern, und die Anfälligkeit für den Klimawandel, um nur einige Faktoren zu nennen.
- Sicherstellen, dass das Kindeswohl an erster Stelle steht: Die Länder müssen alle Maßnahmen zur Bekämpfung von Kindervertreibungen auf den Grundsatz des Kindeswohls ausrichten. Dazu gehört, dass alle Anstrengungen unternommen werden, um eine Familienzusammenführung zu realisieren und mit den Familien der Kinderopfer zusammenzuarbeiten, und dass sichergestellt wird, dass alle Maßnahmen und Verfahren im Zusammenhang mit Kindervertreibung speziell auf Kinder ausgerichtet sind und ihre besondere Verletzlichkeit im Vergleich zu Erwachsenen berücksichtigen (UNICEF, 2024).
- Rehabilitierung der Opfer: Es ist notwendig, umfassende psychologische und physische Mechanismen zu entwickeln und aufrechtzuerhalten, um Kinder zu unterstützen, die Opfer von Zwangsvertreibung geworden sind. Diese Maßnahmen müssen das Ausmaß der psychologischen Schäden berücksichtigen, die Kinder erleiden können, die gewaltsam aus ihrem Zuhause und ihrer Gemeinschaft vertrieben wurden.
- Schutz vor den Folgen der Vertreibung von Kindern: Wirksame Maßnahmen gegen die Vertreibung von Kindern müssen berücksichtigen, dass vertriebene Kinder dem Risiko weiterer Misshandlungen und Schäden ausgesetzt sind. Dazu gehören Verbrechen und Manipulationen durch böswillige Akteure sowie soziale Benachteiligungen, die sich aus der prekären Situation der Kinder ergeben, z. B. beim Zugang zu Bildung und Sozialleistungen.
Geschrieben von Vanessa Cezarita Cordeiro
Intern Korrekturgelesen durch Aditi Partha
Übersetzt von Michael Aschenbrenner
Korrekturgelesen von Claudia Flanner
Zuletzt aktualisiert am 11. Februar 2024
Bibliografie:
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