Soziale Distanzierung und Händewaschen: Eine Phantasie in einem Flüchtlingslager?

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Die Auswirkungen des Coronavirus auf die Lebensbedingungen von geflüchteten Kindern

Was geschieht – in Zahlen?

Von den 71 Millionen geflüchtetem Menschen auf der Welt leben mehr als 80% in Entwicklungsländern ohne eine grundlegende Gesundheitsversorgung. Die Frage stellt sich: Wie kann man geflüchtete Menschen während einer globalen Pandemie schützen? (Wehrli, 2020) In der Tat war und ist diese gefährdete Gruppe von einem besonders hohen Risiko während der Pandemie betroffen. Die Vereinten Nationen (UN) äußerte sich treffend: Niemand ist sicher, bis jeder sicher ist. Die UN hat erklärt, dass 34 Flüchtlingsaufnahmeländer von einer verstärkten Übertragung des Coronavirus berichten (Stand 03.06.2020). Das bedeutet, rund 25 Millionen Geflüchtete sind im Kampf gegen das Coronavirus besonders stark betroffen.

Warum geflüchtete Menschen?

Die Pandemie im Gesundheitsbereich muss im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise gesehen werden. Wir sehen die Grundsätze des Flüchtlingsschutzes jetzt mehr denn je einer Prüfung ausgesetzt. Wie der UN Generalsekretär António Guterres erklärt, sind Geflüchtete und Migrant*innen mit drei Krisen konfrontiert: COVID-19, die weltweite sozioökonomische Krise und mangelnder staatlicher Schutz (UN, 2020). Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) erklärt, dass die Pandemie global zu„einem unverhältnismäßigen Einsatz von Einwanderungshaft, einem Anstieg des Risikos sexueller Gewalt, diskriminierenden Beschränkungen des Zugangs zu Gesundheitsversorgung und Sozialdiensten und einem dramatischen Verlust von Existenzgrundlagen“ geführt hat (UNHCR, 2020).

Die Situation ist umso schlimmer als gerade dann, wenn Menschen Zuflucht vor der Bedrohung ihres Lebens und ihrer Freiheit suchen, sie Grenzbeschränkungen ausgesetzt sind. Tatsächlich haben die Regierungen strenge Einwanderungsgesetze eingeführt, die Menschen abweisen, die Asyl vor schrecklichen Bedingungen wie Krieg und Chaos in ihren Heimatländern suchen (Strauss und Zander, 2020). Während Guterres Länder lobt, die trotz ihrer Reisebeschränkungen die internationalen Prinzipien des Flüchtlingsschutzes respektiert haben, weigern sich viele Nationen zu helfen. Geflüchtete werden ihrem Schicksal überlassen (UN, 2020). So sind syrische Geflüchtete in Griechenland unangemessenen und unhygienischen Lebensbedingungen ausgesetzt, während Geflüchtete in Lagern in der Schweiz über den Mangel an sozialer und emotionaler Beratung berichten (Challenger, 2020).

Wie ist die Lage in Flüchtlingslagern?

In Lagern müssen Geflüchtete und Migrant*innen auf engem Raum leben und haben nur einen begrenzten Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Situation gefährdet ihre Gesundheit. (Fore, 2020) Obwohl dies ein seit langem bekanntes Problem ist, wird es durch die gegenwärtige Coronavirus-Pandemie noch verschärft. Die international beschlossenen vorbeugenden Maßnahmen sind in einem Flüchtlingslager nicht umsetzbar. Wie Annick Antierens, Beraterin für Ärzte ohne Grenzen, sagt: „Keine Art von Epidemie ist gut, aber vor allem nicht diese, wo physische Distanzierung unmöglich und Heimisolierung ein Witz ist.“ (Subbaraman, 2020)

In der Realität kann sich eine große Anzahl von gefährdeten Menschen in überfüllten Flüchtlingslagern besonders schnell anstecken. Hinzu kommt, dass die Versorgung für andere Notfälle im öffentlichen Gesundheitswesen, wie zum Beispiel Malaria, während der Pandemie stark reduziert worden sind.

Wie ist es für Kinder?

Das Coronavirus betrifft zwar zumeist ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, aber Kinder werden von den Folgen der Pandemie vor allem psychologisch beeinträchtigt. So brauchen Kinder mehr Zeit, um die Konsequenzen der Pandemie zu verarbeiten. Während Erwachsene Nachrichten über einen längeren Zeitraum verfolgen können, hörten Kinder plötzlich auf, die Schule zu besuchen. Im Falle von geflüchteten Kindern erweist sich der Mangel an Bildung als die massivste Störung, die durch die Pandemie hervorgerufen wurde.

Schon vor der Pandemie waren die Bedingungen für geflüchtete Kinder in Schulen schwierig: Weniger als 50% der geflüchteten Kinder waren in einer Schule angemeldet, und nur 25% besuchten die Oberschule (UNHCR, 2020). Zum Beispiel hatten geflüchtete Rohingyakinder, die in weitläufigen Siedlungen in Cox’s Bazar leben, bereits vor der Pandemie nur begrenzten Zugang zu Bildung. Das UNHCR warnt, dass „kleine Fortschritte, die in letzter Zeit bei der Erweiterung des Zugangs zu Bildung für geflüchtete Kinder erzielt wurden“ rückgängig gemacht werden könnten (UNHCR, 2020).

Für geflüchtete syrische Kinder in Griechenland haben UNICEF und UNHCR daran gearbeitet, Fernunterricht über Handys und gedruckte Schulmaterialien bereit zu stellen (UN, 2020). Diese Form ist natürlich weniger effektiv für kleine Kinder, die mehr persönliche Interaktionen benötigen, um zu lernen und zu wachsen. Die Schule bietet auch einen Ort, an dem man sich treffen und Freundschaften pflegen kann, was auf Distanz eher schwierig ist. Hinzu kommt, dass es keine Garantie dafür gibt, wie lange diese Art der Bereitstellung von Bildung finanziert wird. 

Die Wohltätigkeitsorganisation Theirworld schätzt, dass für die nächsten zwei Jahre 20 Millionen Dollar für den Bildungsberiech benötigt werden (UN, 2020). Das UNHCR hat sich dafür eingesetzt, dass das offizielle griechische Schulsystem zusätzlich zu dem informellen Bildungsangebot angewendet wird, um die Kluft zwischen den Kindern, die Bildung erhalten, und denen, die keinen Zugang zu Bildung haben zu überbrücken. Dies ermögliche einen „sicheren Raum abseits der schwierigen Bedingungen und eine Gelegenheit, mit dem Bildungsprozess verbunden zu bleiben“ (UN, 2020).

Für andere geflüchtet Kinder bleibt dies eine unüberwindliche Hürde. Ohne Datenvolumen, Empfang oder leicht verfügbare technische Geräte können Familien keine Schulsendungen hören oder an digitalen Lernprogrammen teilnehmen. Geflüchtete Kinder in Bulgarien zum Beispiel haben keinen Zugang zu Sprachkursen oder psycho-sozialer Unterstützung aufgrund des Mangels an technischen Geräten und der existierenden Sprachhindernisse (UNHCR, 2020). Im Großen und Ganzen können Bildungszentren viel mehr bieten als Bildung selbst, nämlich einen sichereren Ort abseits der Not der Flüchtlingslager.

Was wird getan, um zu helfen?

Die amerikanische freiwillige Helferin für Geflüchtete Amy Aves Challenger forderte in ihrem Gastbeitrag für Euronews die europäischen Länder auf, angesichts der derzeitigen Pandemie zu handeln und vertriebenen Kindern zu helfen: „Es ist an der Zeit, dass Europa mit mitfühlenden Richtlinien, die vom UNHCR für den Schutz der Rechte von geflüchteten Kindern bestimmt wurden, vorangeht.“ (Challenger 2020)

In Anbetracht der Situation hat das UNHCR mit lebensrettender Unterstützung reagiert: Wasser sowie medizinische und hygienische Materialien fördern die „öffentliche Gesundheit und Hygiene in Regionen, die Vertriebene beherbergen, einschließlich der Luftbeförderung von Notversorgung und der Einrichtung von Quarantänestationen“ (UNHCR, 2020). Das UNHCR gibt Material für Notunterkünfte und zentrale Hilfsgüter aus und produziert und verteilt gedruckte Lernmaterialien.

Allerdings fehlt dem UNHCR weiterhin die Finanzierung dieser Mittel. 745 Millionen Dollar werden benötigt, um den Schwerpunktländern zu helfen. NGOs arbeiten in Partnerschaft mit dem UNHCR und unterstützen Lehrer*innen, Eltern und Schüler*innen während Schulen geschlossen sind. In Bulgarien zum Beispiel haben der Rat der geflüchteten Frauen und das Bulgarische Rote Kreuz technische Geräte gespendet (UNHCR). Auch die internationale NGO Save the Children unterstützt mit der Verteilung von Hygieneprodukten an gefährdete Gemeinschaften.

Obwohl lokale NGOs ihr verfügbares Personal in den Flüchtlingslagern verringert haben, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, bleibt diese Unterstützung von Organisationen während der Pandemie unerlässlich (Subbaraman, 2020). Viele geflüchtete Kinder und Erwachsene erhalten außerhalb der Bemühungen von lokalen NGOs wenig Hilfe.

Als NGO fordert Humanium internationale Kräfte auf, in Situationen einzugreifen, die Kinder gefährden. Wir haben öffentliche Gesundheitshilfe in gefährdeten Gebieten geleistet. In kleinen Dörfern wie Eappakkam, Tamil Nadu, Indien, haben wir sanitäre Hilfe bereitgestellt, die sich auf Umweltqualität konzentriert, um die Lebensbedingungen von Kindern zu verbessern. Während der Pandemie haben wir die Verteilung von Handdesinfektionsmitteln und Gesichtsmasken an 50.000 Familien in Indien ermöglicht. In Flüchtlingslagern sind solche Bemühungen zusammen mit Verbesserung der Bildungsangebote mehr denn je erforderlich.

Es ist Humanium ein wichtiges Anliegen, das Bewusstsein für diese Themen zu schärfen. Wenn Sie sich engagieren möchten, finden Sie unter diesem Beitrag Webseiten von Organisationen, für die Sie spenden können!

Geschrieben von Leah Benque

Übersetzt von Susanne Russell

Korrektur gelesen von Andrea Quaden

Weitere Informationen

UNHCR

Doctors without Borders

Amnesty International

Save the Children

Quellen:

Challenger, Amy Aves. (2020, May 4), “As coronavirus sweeps Europe, unaccompanied refugee children are becoming more vulnerable ǀ View,” Euronews. Retrieved from Euronews World.

Fore, Henrietta. (2020, March 31), “Time is running out to protect refugees from a coronavirus crisis,” Aljazeera. Retrieved from Aljazeera Opinion.

Strauss, Marina, and Zander, Max. (2020, March 20), “Coronavirus strands refugee children,” DW Made for minds. Retrieved from DW.

Subbaraman, Nidhi. (2020, April 24), “‘Distancing is impossible’: refugee camps race to avert coronavirus catastrophe,” Nature. Retrieved from Nature.

UNHCR. (2020, April 22), “Beware long-term damage to human rights and refugee rights from the coronavirus pandemic: UNHCR,” UNHCR. Retrieved from UNHCR News Release.

UNHCR. (n.d.), “Coronavirus outbreak,” UNHCR. Retrieved from UNHCR.

UNHCR. (2020, May 11), “Refugee children hard hit by coronavirus school closures,” UNHCR. Retrieved from UNHCR Stories.

United Nations. (2020, April 27), “Greece: COVID-19 pandemic a further risk to refugee child education,” UN. Retrieved from News UN.

United Nations. (2020, June 3), “UN chief underlines need to protect refugees and migrants in COVID-19 pandemic,” UN. Retrieved from News UN.

Wehrli, Zach. (2020, May 1), “Covid-19 Brief: Impact on Refugees,” U.S. Global Leadership Coalition. Retrieved from USGLC.