Schutz von Kinderrechten in globalen Lieferketten

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„Von der Vergiftung durch Pestizide in Brasilien bis hin zur Ausbeutung der Kinder in den Goldminen von Tansania, die Rechte der Kinder werden bereits am Anfang einer jeden globalen Lieferkette verletzt.“

– Maike Röttger, Vorsitzende der Plan International Deutschland

Während die Globalisierung für Wirtschaft und Menschen weltweilt neue Möglichkeiten und Vorteile geschaffen hat, lässt sie doch oft die Schwächsten der Gesellschaft zurück. Besonders Kinder sind der Gefahr ausgesetzt, dass ihre Rechte im Rahmen oder als Folge des internationalen Handels in den Entwicklungsländern verletzt werden. Längst sind Wirtschaft und Menschenrechte kein Randthema mehr – aber können Gesetze zu globalen Lieferketten wirksam zum Schutz der Kinder- und Menschenrechte beitragen?

Die Covid-19-Pandemie: Kinderarbeit auf dem Vormarsch

Weltweit sind Kinder systematisch in bezahlte und unbezahlte Arbeit eingebunden. Kinderarbeit wird jedoch zum Problem, wenn Kinder zu jung sind, um zu arbeiten oder gefährliche und ausbeutende Tätigkeiten ausüben. Dies beeinträchtigt nicht nur ihre körperliche, geistige, soziale oder schulische Entwicklung, sondern verringert damit auch ihre Zukunftschancen.

Seitdem die Corona-Pandemie die Welt fest im Griff hat und zu Schulschließungen und einem rasanten Anstieg der Armut führt, werden mehr und mehr Kinder zur Arbeit gezwungen. Den neuesten globalen Schätzungen zufolge ist etwa jedes zehnte Kind im Alter von 5 bis 17 Jahren von Kinderarbeit betroffen, die sich nachteilig auf seine Gesundheit und Entwicklung auswirkt. Seit Beginn der Pandemie sind weitere neun Millionen Kinder der Gefahr von Kinderarbeit ausgesetzt (Unicef, 2021). 

Es wird als natürliche Pflicht von Regierungen gesehen, die Rechte der Kinder zu respektieren, zu schützen und zu verwirklichen, um somit der Kinderarbeit weltweit ein Ende zu setzen. Heutzutage liegt der Fokus jedoch mehr und mehr auf der Verantwortung der Unternehmen und ihrer Verpflichtung, Menschen- und Kinderrechte im Rahmen ihrer globalen Lieferketten zu berücksichtigen.

Seit Anfang der 2000er rückten Menschenrechte und Wirtschaft immer mehr in den Fokus der Weltöffentlichkeit, was dazu führte, dass eine Reihe von freiwilligen Richtlinien, Empfehlungen und Gesetzen verabschiedet wurde. Diese ermunterten Unternehmen dazu, ihre Tätigkeiten den universellen Menschenrechten anzupassen. 

Globale Lieferketten: Den Auswirkungen der Wirtschaft auf Kinderrechte begegnen

Die wirtschaftliche Globalisierung eröffnete auf der einen Seite zahlreiche Möglichkeiten, auf der anderen Seite entwickelten sich aber auch neue Herausforderungen, wie beispielsweise im Bereich des Schutzes von Kinderrechten. Bevor ein Produkt beim endgültigen Abnehmer landet, durchläuft es oft zahlreiche Prozesse, Länder und Kontinente, um Waren und Dienstleistungen zu beschaffen und zu liefern: Kleidung kommt aus Asien, Kakao und Obst aus Afrika, Kaffee kommt aus Südamerika. Dieser Kreislauf wird als globale Lieferkette bezeichnet.

Die neuesten Entwicklungen der globalen Lieferketten machen jedoch eine Vielzahl von Beispielen für Verletzungen von Kinderrechten deutlich, die entweder direkt durch die multinationalen Unternehmen begangen werden oder als Ergebnis ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten zu verzeichnen sind. Innerhalb der globalen Lieferketten findet ein erheblicher Teil der Kinderarbeit häufig bereits in den ersten Phasen statt, etwa bei der Rohstoffgewinnung und in der Landwirtschaft.

Viel zu oft nutzen die Unternehmen dabei die lockeren rechtlichen Rahmenbedingungen und einen unzureichenden Zugang zur Justiz in den Entwicklungsländern aus. In diesem Zusammenhang sind die Jungen und Mädchen regelmäßig gefährlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt, wie beispielsweise der Verschmutzung der Umwelt (z. B. illegale Abholzung, Emission von Pestiziden, Wasser- und Luftverschmutzung), fehlenden Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen und der Verletzung der grundlegendsten Arbeitnehmerrechte (Much L., 2021).

Können Gesetze zu internationalen Lieferketten zu einem verantwortungsvollen Geschäftsmodell führen?

2011 verabschiedeten die Vereinten Nationen die sogenannten UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, eine Reihe von Richtlinien für Staaten und Unternehmen, um Menschenrechtsverletzungen im Rahmen von Geschäftstätigkeiten zu verhindern, anzugehen und zu beheben. Diese Richtlinien sollen außerdem den Unternehmen klare Schritte vorgeben, wie sie Menschenrechtsstandards in ihre Unternehmenspraxis und ihre Lieferketten aufnehmen können (OHCHR, 2011).

Nach der Verabschiedung der UN-Leitprinzipien wird die Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Kindern, als globaler Standard für das erwartete Verhalten aller Unternehmen, unabhängig vom Ort ihrer Geschäftstätigkeit, angesehen. Am wichtigsten ist bei dieser Verantwortung, dass sie unabhängig von der Fähigkeit oder Bereitschaft der Staaten besteht, ihre eigenen Menschenrechtsverpflichtungen zu erfüllen. Die Umsetzung der UN-Leitprinzipien wird von einzelnen Regierungen durch nationale Aktionspläne gefördert (OHCHR, 2011).

Obwohl die Verabschiedung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte als ein wichtiger Schritt nach vorne anzusehen ist, indem Prinzipien eingeführt wurden, die heutzutage nahezu weltweite Anerkennung genießen, stellen Menschenrechtsverletzungen im Rahmen wirtschaftlicher Tätigkeiten noch immer ein ernsthaftes Problem dar.

Die Unverbindlichkeit der UN-Leitprinzipien und das Fehlen eines zentralen Mechanismus zur Sicherstellung ihrer Umsetzung werden regelmäßig durch zivilgesellschaftliche Akteure, internationale Organisationen und Regierungen kritisiert (EU-Parliament, Towards a binding international treaty on business and human rights, 2018).

Europäische Gesetze zu Lieferketten: Wer global handelt, muss auch globale Verantwortung übernehmen

Die Unzufriedenheit über die Unzulänglichkeit der UN-Leitprinzipien und deren langsame und unwirksame Umsetzung haben die Debatte um den Entwurf eines international verbindlichen Vertrages befeuert. Zeitgleich werden regionale und nationale Rechtsinstrumente entwickelt, die das Ziel haben, eine stärkere Rechtsgrundlage für den Schutz von Menschen- und Kinderrechten im Rahmen wirtschaftlicher Tätigkeiten zu schaffen. 

Auf europäischer Ebene nahmen die 27 EU-Mitgliedsstaaten im Dezember 2020 einstimmig die Schlussfolgerungen des Rates zu „Menschenrechten und guter Arbeit in globalen Lieferketten“ an. Im März 2021 verabschiedete das Europäische Parlament einen legislativen Initiativbericht zur Sorgfalts- und Rechenschaftspflicht von Unternehmen. Die Europäische Kommission plant nun, bis Ende 2021 einen konkreten Richtlinienvorschlag für eine nachhaltige Unternehmensführung vorzulegen, der auch Sorgfaltspflichten entlang globaler Lieferketten beinhalten wird (BMAS, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2021).

Einzelne Rechtsinstrumente existieren bereits jetzt. Dazu gehört beispielsweise die EU-Richtlinie über die nichtfinanzielle Berichterstattung (Richtlinie 2014/95/EU), die 2014 in Kraft trat und Unternehmen, die im Ausland tätig sind, dazu verpflichtet, ihre Compliance, u. a. in Bezug auf Menschenrechtsnormen, offenzulegen. Eine weitere Gesetzesinitiative, die europäischen Unternehmen eine Sorgfaltspflicht auferlegt, stellt die kürzlich verabschiedete Verordnung über Konfliktmineralien dar.

Seit dem 01. Januar 2021 sind Importeure von vier Mineralien (Zinn, Tantal, Wolfram und Gold) dazu verpflichtet, die Wahrscheinlichkeit zu prüfen, mit der die Rohstoffe der Finanzierung von Konflikten dienen könnten oder unter Einsatz von Zwangsarbeit gewonnen worden sein könnten (EU-Parliament, Towards a mandatory EU system of due diligence for supply chains, 2021). 

Zusätzlich zum Fortschritt, der auf europäischer Ebene zu verzeichnen ist, setzen viele EU-Mitgliedsstaaten bereits Gesetze zur Sorgfaltspflicht um. Das in den Niederlanden seit 2019 existierende Sorgfaltspflichtgesetz (Niederländisch: „Wet Zorgplicht Kinderarbeid“) beschäftigt sich beispielsweise insbesondere mit der Kinderarbeit im Rahmen globaler Lieferketten. Es verpflichtet Unternehmen, die auf dem niederländischen Markt verkaufen, einer möglichen Kinderarbeit in ihren Lieferketten nachzugehen. Unternehmen, die dies missachten, kann eine Geldstrafe auferlegt werden (BMAS, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2021).

Ein ähnliches Prinzip verfolgt Frankreich, welches 2017 ein Sorgfaltspflichtgesetz einführte (frz. „loi de la vigilance“). Dies verlangt von französischen Unternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitenden weltweit, die Umsetzung und Veröffentlichung eines sogenannten Wachsamkeitsplans. Damit soll das Risiko ernster Verstöße gegen die Menschenrechte, die Gesundheit und Sicherheit von Personen sowie das Risiko der Umweltzerstörung innerhalb einer Lieferkette aufgedeckt werden. Unternehmen, die sich weigern, ihren Verpflichtungen nachzukommen, haften hierfür und müssen Abhilfe leisten (BMAS, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2021).

In Deutschland wurde kürzlich ein Gesetz zu Sorgfaltspflichten in Lieferketten, das sogenannte „Lieferkettengesetz“, verabschiedet. Mit seiner Verabschiedung am 11. Juni 2021 ist die Verantwortung deutscher Unternehmen, Menschenrechte in globalen Lieferketten zu achten, erstmals verbindlich geworden. Ab 2023 müssen Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitenden Gefahren von Menschenrechtsverletzungen analysieren, Präventiv- und Abhilfemaßnahmen ergreifen, Mechanismen zur Entschädigung einführen und über ihre Aktivitäten berichten (Deutsche Bundesregierung, 2021).

Wie können wir Kinderrechte in der Welt der Wirtschaft schützen?

Menschenrechtsverletzungen, die im Rahmen oder als Ergebnis von wirtschaftlicher Tätigkeit begangen werden, gefährden insbesondere Kinder, da diese erst am Anfang ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung stehen. Denn tatsächlich sind die Auswirkungen von Kinderarbeit, die Einwirkungen von Umweltverschmutzung und gefährlichen Substanzen, die harten Arbeitsbedingungen und die fehlende Schulbildung für Kinder langfristig und viel zerstörerischer (Much L., 2021).

Im Zusammenhang mit der zuvor erwähnten Vorbereitung des deutschen Gesetzes zu Sorgfaltspflichten in Lieferketten, wurden die Rufe nach einem Gesetz, welches die Rechte von Kindern in der globalen Wirtschaft wirksam schützt, lauter. In einem gemeinsamen Positionspapier haben internationale Kinderrechtsorganisationen insbesondere die Wichtigkeit eines Gesetzes hervorgehoben, welches Kinder als eine besonders verletzliche Gruppe mit ihren eigenen Rechten, wie sie in der UN-Kinderrechtskonvention verankert sind, behandelt. Des Weiteren sollen Beschwerdestellen eingerichtet werden, die für junge Arbeitende zugänglich und auf sie angepasst sind (Much L., 2021).

Die nationalen und internationalen Gesetze und Richtlinien im Bereich der Lieferketten, die die Sorgfaltspflichten der Unternehmen regeln, können zwar sicherlich als ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung angesehen werden. Nichtsdestotrotz wird die Zeit zeigen, ob sie auch den Rahmen für einen wirksameren Kampf um Kinder- und Menschenrechte weltweit bilden können. 

Mit nur wenigen Klicks können auch Sie Ihren Beitrag zur Beendigung der Kinderarbeit weltweit leisten. Finden Sie heraus, wie Sie sich für die Rechte der Kinder einsetzen können, werden Sie Mitglied, beteiligen Sie sich an unserer Arbeit und verbreiten Sie die Nachricht über unsere Website, Facebook-Seite oder in unserem Newsletter! Sie möchten etwas tun? Ihre Spende wird die wichtige Arbeit von Humanium zur Förderung der Rechte von Kindern und zur Verbesserung ihres Wohlergehens weltweilt unterstützen. 

Geschrieben von Anja Finke

Übersetzt von Franziska Theis

Korrektur gelesen von Rebecca Richter

Bibliographie:

BMAS, Bundesministerium für Arbeit und Soziales. (2021). Lieferkettengesetze in der EU und weltweit. Abgerufen am 21. July 2021

CIPS. Global Supply Chains. Abgerufen am 24. July 2021

Deutsche Bundesregierung. (2021). Lieferkettengesetz, Mehr Schutz von Menschen und Umwelt in der globalen Wirtschaft. Abgerufen am 21. July 2021

EU-Parliament. (April 2018). Towards a binding international treaty on business and human rights. Abgerufen am 21. July 2021

EU-Parliament. (2021). Towards a mandatory EU system of due diligence for supply chains. Abgerufen am 21. July 2021

Much, L. (. (29. January 2021). Globale Lieferketten: Ein Sorgfaltspflichtengesetz kann Kinderrechte schützen. Abgerufen am 21. July 2021

Much, L. (19. February 2021). Warum Kinder ein wirksames Lieferkettengesetz brauchen. Abgerufen am 21. July 2021

OHCHR. (2011). Guiding Principles on Business and Human Rights. Abgerufen am 21. July 2021

Unicef. (1. June 2021). Child Labour: Global estimates 2020, trends and the road forward. Abgerufen am 20. July 2021