Russlands Unterdrückung einer Organisation, die die Rechte von LGBTQIA+ in ganz Russland verteidigt

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Am 9. Februar 2022 reichte das russische Justizministerium eine Klage ein, um die gemeinnützige Stiftung Sphere zu zerschlagen, eine wichtige Organisation, die sich für die Rechte von LGBTQI+-Menschen in Russland einsetzt. (Lockshina 2022) Das Sankt Petersburger Kuibischewski-Gericht „wies die Klage ab und forderte das Justizministerium auf, seine Behauptungen zu erläutern.“ (Artikel19 2022) 

Obwohl ihr erster Versuch scheiterte, entschied ein Sankt Petersburger Bezirksgericht am 21. April 2022, die Stiftung stillzulegen. In einem im selben Monat veröffentlichten Meinungsartikel erklärte die Menschenrechtsaktivistin und Leiterin des Teams von Sphere Dilya Gafurova, dass dies nicht das Ende sei: „Russlands größte LGBT+-Gruppe ist dicht gemacht worden. Aber wir gehen nirgendwo hin.“ (Gafurova 2022)

LGBTQIA+ Menschen in Russland ohne Schutz

Das russische Justizministerium behauptete, dass die Aktivitäten von Sphere „darauf abzielen würden, die LGBT-Bewegung in Russland zu unterstützen“, was ein Problem darstelle, weil die Organisation drohe, „die Gesetzgebung und die moralischen Grundlagen in der Russischen Föderation zu verändern.“ (Kelleher 2022) Konkret bedrohedie Organisationsomit die Familienwerte, die öffentliche Ordnung und die Rechtsstaatlichkeit.

Außerdem behauptete der Pressedienst der St. Petersburger Gerichte, dass die Existenz der Organisation die russischen Werte der Staatsbürgerschaft gefährde: „Alle Aktivitäten von Sphere laufen der staatlichen Politik zuwider, die darauf ausgerichtet ist, das Humankapital [des Landes] zu erhalten, zu erweitern und zu entwickeln.“ (Lockshina 2022) 

In diesem Sinne lässt sich das Urteil gegen Sphere eher auf ideologische und moralische Überlegungen zurückführen, als auf das Recht. Wie die stellvertretende Direktorin der Abteilung Europa und Zentralasien von Human Rights Watch, Tanya Lokshina, behauptet, stellt die Klage „eine rein ideologische Aktion und einen eklatanten Akt homophober Zensur dar, der als juristische Aktion getarnt ist.“ (Lokshina 2022)

Der Gründer von Sphere, Igor Kochetkov, ist ebenfalls der Meinung, dass die Klage eher ideologisch als rechtlich begründet ist. (Bellamy-Walker 2022) Die daraus folgende Verordnung macht die LGBTQIA+-Gemeinschaft anfällig für weitere Unterdrückungsmaßnahmen, da sie einen gefährlichen Präzedenzfall schafft. Mit anderen Worten: Der Akt der Auflösung der Organisation legitimiert weitere homophobe Handlungen.

Infolgedessen sind die Rechte von LGBTQIA+-Personen im Moment in ganz Russland besonders gefährdet. Ein Sphere-Sprecher erklärte: „Wir können die Gemeinschaft in einer so schwierigen Zeit nicht ohne Schutz und Unterstützung lassen. Unser Team hat es immer als seine Pflicht angesehen, der Gemeinschaft zu helfen und sie auf der Grundlage der Menschenrechte und der Humanität zusammenzubringen.“ (Kelleher 2022)

Da die Gefährdung ideologisch bedingt ist, ist es wahrscheinlicher, dass homophobe Einstellungen bestehen bleiben, was verheerende Auswirkungen auf LGBTQIA+-Jugendliche in Russland in einer Zeit haben könnte, in der sie ihre Sexualität entdecken. 

Die Geschichte homophober Politik der russischen Regierung

Wie Gafurova schreibt, sollte uns die Haltung der russischen Regierung jedoch nicht überraschen, sie habe dies kommen sehen: „Als wir bei Sphere von der Entscheidung erfuhren, dass die Organisation aufgelöst werden sollte, waren wir nicht sonderlich überrascht – wir hatten schon seit Monaten mit einer solchen Entscheidung gerechnet.“ (Gafurova 2022) Ende 2021 wurden die Organisation Memorial International und das Memorial Zentrum für Menschenrechte aus ähnlichen Gründen geschlossen. (Kelleher 2022) Die derzeitige Regierung besteht darauf, dass sichergestellt wird, dass die Medien „von Natur aus russisch“ bleiben. 

Es besteht die Ansicht, dass LGBTQIA+ zu sein eine Bedrohung aus dem Ausland darstellt, da LGBTQIA+ mit der westlichen Welt assoziiert wird. In den letzten zehn Jahren hat die russische Regierung versucht, Journalisten und Medien daran zu hindern, über LGBTQIA+-Rechte und andere Menschenrechtsfragen zu diskutieren.

Die eigenen Projekte von Sphere und die Projekte, an denen es beteiligt war, wurden als „aus dem Ausland wirkend“ bezeichnet. (Russian LGBT Network n.d.) Personen, die ihre Arbeit mit LGBTQIA+-Organisationen in der Öffentlichkeit diskutierten, wurden ebenfalls mit diesem Titel bedacht. Der Titel ‚aus dem Ausland wirkend'“führt zu einer verminderten Glaubwürdigkeit in den Augen der Öffentlichkeit.“ (Gafurova 2022) 

Es birgt für Aktivisten auch die Gefahr, Drohungen, Provokationen und Verleumdungskampagnen ausgesetzt zu sein. Zusätzlich zu diesen individuellen Angriffen hat die russische Regierung auch Gesetze erlassen, die die Rechte von LGBTQIA+ Menschen diskriminieren. Dazu gehört das berüchtigte „Schwulenpropaganda“-Gesetz aus dem Jahr 2013, das die Verbreitung von LGBTQIA+-Medien im Internet verbietet (es wurde außerdem dazu verwendet, Aktivisten mit Geldstrafen zu belegen, Quellen zu sperren und Veranstaltungen wie die Pride zu verhindern). (Gafurova 2022) Dieses Gesetz beeinflusste auch andere postsowjetische Länder, die die Einführung von Gesetzen gegen „homosexuelle Propaganda“ in Betracht ziehen. (Kurtanidze 2022) 

Derzeit diskutieren die Abgeordneten über die Verabschiedung von zwei Gesetzen, die die Rechte von LGBTQIA+ weiter einschränken würden: ein Gesetz zum Verbot „toxischer Inhalte“ und „Grundlagen der staatlichen Politik zur Bewahrung und Stärkung traditioneller russischer geistiger und moralischer Werte“. (Gafurova 2022) Diese homophobe Propaganda stützt entscheidend die Macht der russischen Regierungsverwaltung.

Was die Wohltätigkeitsstiftung Sphere erreicht hat

Die obige beschriebenenMaßnahmen bedrohen die friedliche Existenz einer Minderheit in Russland. Seit ihrer Gründung im Jahr 2011 bietet die Organisation Sphere „rechtliche und psychologische Unterstützung“ für LGBTQIA+ Menschen, deren Leben in Gefahr war. 

Die Ziele der Organisation sind die folgenden: 

  • „Systematische Verbesserung der Situation für die LGBT+ Community in Russland.
  • -Verringerung des Ausmaßes von Homophobie, Biphobie und Transphobie und Förderung einer positiven Einstellung gegenüber der LGBT+-Gemeinschaft.
  • -Unterstützung von Organisationen, die mit der LGBTQ+-Gemeinschaft arbeiten.
  • -Aufbau und Entwicklung von Partnerbeziehungen mit Organisationen, die mit Gruppen mit vergleichbaren Problemen arbeiten und unsere Grundsätze teilen
  • -Erforschung der Situation in Bezug auf die Verletzung der Rechte von Mitgliedern der LGBTQ+-Gemeinschaft in Russland
  • -Hilfe für Menschen, die Diskriminierung und/oder Gewalt ausgesetzt sind.“ (Wohltätigkeitsstiftung Sphere, n.d.)

Sphere hat Überlebende von Entführung und Folter in einer entscheidenden Zeit unterstützt, in der die russische Gesetzgebung zunehmend homophob wurde. Im Jahr 2017, während der entsetzlichen, gegen Homosexuelle gerichteten Säuberungsaktion in Tschetschenien, von der über 150 bisexuelle und schwule Männer betroffen waren, war die Sphere Stiftung eine Schlüsselfigur bei den Bemühungen, „die Misshandlungen zu stoppen und die Überlebenden zu evakuieren.“ (Gavurova 2022) 

Die Organisation war an der Verbreitung öffentlicher Informationen über die schrecklichen Übergriffe beteiligt. Seit 2017 haben tschetschenische Sicherheitskräfte Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung angegriffen und sie in inoffiziellen Haftanstalten gedemütigt, gefoltert und inhaftiert. (Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte, ECCHR o.J.) Auch „Ehrenmorde“ an LGBTQIA+-Personen sind vorgekommen. (ECCHR n.d.) 

Im Februar 2021 reichten die Sphere Stiftung und das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) in Deutschland eine Klage (nach dem Prinzip der universellen Zuständigkeit) ein, weil tschetschenische Beamte sich weigerten, diese Menschenrechtsverletzungen auf nationaler Ebene anzuerkennen. (ECCHR n.d.) Die russische Regierung respektiert die Rechte von LGBTQIA+-Personen nicht, weshalb die aktivistische Arbeit von Organisationen entscheidend und unerlässlich ist. 

Aktivisten wollen weiter kämpfen

Da ihre Rechte derzeit gefährdet sind, brauchen LGBTQIA+ Menschen dringend Unterstützung. Auch wenn es komplizierter sein wird, versichert Gafurova, dass die Menschenrechtsaktivisten von Sphere „nirgendwo hingehen“. (Gafurova 2022) Die Auflösung der Organisation bedeutet nicht das Ende der Menschenrechtsarbeit in diesem Bereich.

Wenn die russische Regierung versucht hat, die LGBTQIA+-Rechtsarbeit durch die Erstickung von Sphere zu stoppen, dann hat sie versagt, denn die Aktivisten sind hier und werden bleiben. Gafurova argumentiert, dass die Akkreditierung der Organisation im staatlichen Register für die Fortsetzung der Menschenrechtsarbeit nur von geringer Bedeutung ist. 

Denn trotz traditioneller russischer Werte, versichert Gafurova: „Trotz der Launen des politischen Klimas existieren LGBT+ Menschen. Wir weigern uns, aufzugeben und uns von der Regierung zum Schweigen bringen zu lassen; wir weigern uns, zu akzeptieren, dass die Unterstützung von LGBT+-Personen nicht der Idee der „Wohltätigkeit“ entspricht, wie es in deren Behauptung heißt. LGBT+ Menschen sind Bürger dieses Landes wie jede andere gesellschaftliche Gruppe und verdienen die gleichen Rechte und Freiheiten.“ (Bellamy-Walker 2022) 

Insgesamt „haben die lokalen Organisationen angesichts der zunehmenden Repressionen eine enorme Widerstandsfähigkeit bewiesen.“ (Kurtanidze 2021) Auch wenn es wenig Hoffnung auf Veränderungen in der russischen Regierung gibt, wie Aktivisten behauptet haben, können wir in der Arbeit von Organisationen wie Sphere Optimismus finden und die wichtige Rolle anerkennen, die sie bei der Anerkennung von LGBTQIA+ Russen spielen und ihnen ein Gefühl der Sicherheit vermitteln.

Wir von Humanium setzen uns für die Rechte von LGBTQIA+ Jugendlichen auf der ganzen Welt ein. Die Arbeit, die Sphere geleistet hat, um Russland LGBTQIA+-freundlicher zu machen, ist ein hervorragendes Beispiel für den Aktivismus von Nichtregierungsorganisationen auf der ganzen Welt, insbesondere von solchen, die in einem feindlichen Umfeld tätig sind. Die Macht der Nichtregierungsorganisationen ist in akuten Situationen wie dieser besonders wichtig. Da es sich um ein ideologisches Thema handelt, hat Sphere eine wichtige Rolle bei der Veränderung der gesellschaftlichen Einstellung zur Homosexualität gespielt. 

Indem wir bei Humanium darüber sprechen, hoffen wir, dem „Schweigen“ der russischen Regierung zu LGBTQIA+-Themen entgegenzuwirken. Indem wir das Bewusstsein dafür schärfen, können wir wesentlich dazu beitragen, Veränderungen zu bewirken. Sie können unsere Mission auf verschiedene Weise unterstützen, z.B. durch eine Spende, ehrenamtliche Tätigkeit, eine Mitgliedschaft oder eine Patenschaft für ein Kind.

Verfasst von Leah Benque

Übersetzt von Katharina Wilhelm

Korrektur gelesen von Marie Podewski

Quellen:

Article 19, (16 February 2022), “ARTICLE 19 is deeply concerned over growing repression against civil society in Russia.,” Article 19, accessed on 12 April 2022, retrieved from https://www.article19.org/resources/russia-crackdown-on-lgbt-activists-must-end/.

Bellamy-Walker, Tat (11 February 2022), “Russia makes failed attempt to shut down prominent LGBTQ rights group,” NBC News, accessed on April 12, 2021, retrieved from https://www.nbcnews.com/nbc-out/out-news/russia-makes-failed-attempt-shut-prominent-lgbtq-rights-group-rcna15913.

Charity Foundation Sphere (n.d.), “About Us,” CF Sphere, accessed on April 12, 2022, retrieved from https://cfsphere.org/en/aboutus.

European Center for Constitutional and Human Rights (n.d.), “Case Persecution LGBTQ Chechnya,” ECCHR, accessed on April 12, 2022, retrieved from https://www.ecchr.eu/en/case/persecution-lgbtq-chechnya/#case_context.

Gafurova, Dilya (22 April 2022), “Russia’s biggest LGBT+ group has been shut down. But we’re going nowhere,” Open Democracy, accessed on April 22, 2021, retrieved from https://www.opendemocracy.net/en/5050/cf-sphere-russia-lgbtqi-shut-down/.

Kelleher, Patrick, (21 April 2022), “Russian courts liquidate and dissolve life-saving LGBT+ rights charity in yet another sinister move,” PinkNews, accessed on April 22, 2022, retrieved from https://www.pinknews.co.uk/2022/04/21/russia-lgbt-charitable-foundation-sphere/.

Kurtanidze, Elene, (30 April 2021), “Dismantling LGBT+ rights as a means of control in Russia,” Freedom House, accessed on April 12, 2022, retrieved from https://freedomhouse.org/article/dismantling-lgbt-rights-means-control-russia.

Lokshina, Tanya, (9 February 2022), “Russian Government Seeks Closure of LGBT Rights Group,” Human Rights Watch, accessed on 13 February 2022, retrieved from https://www.hrw.org/news/2022/02/09/russian-government-seeks-closure-lgbt-rights-group.

Russian LGBT Network Interregional Social Movement (n.d.), “Who are We,” Russian LGBT Network, accessed on April 12, 2021,retrieved from  https://lgbtnet.org/en/.

Wakefield, Lily (25 November 2021), “Russian politician builds sinister ‘Wikipedia’ of ‘toxic content’. And yes, it includes gay people,” PinkNews, accessed on April 12, 2021, retrieved from https://www.pinknews.co.uk/2021/11/25/russia-gay-wikipedia-lgbt-igor-ashmanov/.