Nach dem Erdbeben in Marokko: eine dringend benötigte Reaktion auf die Not der Kinder

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Anfang September 2023 ereignete sich eine Naturkatastrophe im Herzen der marokkanischen Großstadt Marrakesch und ihrer Umgebung. Das Erdbeben hat nicht nur viele Menschenleben gefordert und eine Spur der Verwüstung hinterlassen, sondern auch viele Kinder verzweifelt, verletzt und schutzlos zurückgelassen. Angesichts der Menschenrechtssituation der marokkanischen Kinder, für die Marokko feste rechtliche Verpflichtungen eingegangen ist, hat das Erdbeben die marokkanischen Kinder dennoch in eine prekäre Lage gebracht, die sowohl von Marokko als auch von der internationalen Gemeinschaft sorgfältig geprüft und beachtet werden muss.

Gesetzliche Verpflichtungen gegenüber marokkanischen Kindern

Die marokkanische Verfassung garantiert allen Kindern, unabhängig von ihrer familiären Situation, den gleichen rechtlichen Schutz und die gleiche soziale und moralische Achtung. (Council of Europe, 2022). Auf nationaler Ebene hat Marokko seine Bemühungen zum Schutz von Kindern vor verschiedenen Formen von Vernachlässigung, Gewalt und Ausbeutung im Rahmen der Integrierten Öffentlichen Politik für den Schutz von Kindern 2015-2025 fortgesetzt, einschließlich der Schaffung integrierter territorialer Kinderschutzmechanismen in den acht Provinzen des Landes. (United Nations Human Rights Council, 2022).

Auf internationaler Ebene wurde Marokko 1956 Mitglied der Vereinten Nationen (United Nations, o.D.). Anschließend unterzeichnete und ratifizierte Marokko 1993 die Kinderrechtskonvention (KRK) (United Nations, o.D.). Damit ist Marokko nach dem Völkerrecht und durch die Verträge der Vereinten Nationen verpflichtet, die Menschenrechte seiner Bürger und damit auch die seiner Kinder zu wahren.

Dementsprechend verpflichtet sich Marokko, „die (Menschen-)Rechte (…) jedes Kindes in seinem Rechtsbereich ohne jegliche Diskriminierung zu achten und zu gewährleisten“ und erkennt „das Recht jedes Kindes auf einen seiner körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen und sozialen Entwicklung angemessenen Lebensstandard“ an (Convention on the Rights of the Child, 1989).

Das Erdbeben und seine Folgen für Kinder

Am 8. September 2023 ereignete sich in Marokko ein Erdbeben der Stärke 6,8 (Plan International, 2023). Das Epizentrum des Bebens lag in der Provinz Al-Haouz, südwestlich  von Marrakesch (RadioFrance, 2023). Die meisten Todesopfer wurden in der Nähe des Epizentrums im schwer zugänglichen Hohen Atlas gemeldet (RadioFrance, 2023).

Berichten zufolge waren in Marrakesch und im Hohen Atlas etwa 300.000 Menschen direkt betroffen, möglicherweise sogar mehr als 300.000, und mehr als 2.600 Menschen wurden getötet (UNICEF, 2023). Unter den Opfern befanden sich auch Kinder, von denen mehrere Tausend verletzt und schätzungsweise mehr als 100.000 betroffen waren (UNICEF, 2023).

Darüber hinaus wurden mehr als 50.000 Häuser zerstört, wodurch Familien vertrieben  wurden und in einer Jahreszeit, in der die Temperaturen über Nacht rapide fallen, schweren Unwettern ausgesetzt waren (UNICEF, 2023). Schulen, Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen und Bildungsstätten wurden beschädigt oder zerstört (UNICEF, 2023). Durch das Erdbeben haben viele Familien in den betroffenen Gebieten auch ihre Ausweispapiere und amtlichen Dokumente verloren (Le Matin Maroc, 2023).

In jeder Notsituation sind Kinder am stärksten gefährdet (ReliefWeb, 2023). Wie bereits erwähnt, waren schätzungsweise mehr als 100.000 Kinder von dem Erdbeben betroffen, und „obwohl die genaue Zahl der von der Zerstörung betroffenen Kinder noch nicht bekannt ist“, ist es wahrscheinlich, dass eine größere Anzahl von Kindern von der Zerstörung ihrer Häuser oder dem Verlust von Familienmitgliedern betroffen und vertrieben wurde (ReliefWeb, 2023).

Marokkos Maßnahmen zum Schutz der Rechte von Kindern nach dem Erdbeben

Bereits am Tag nach dem Erdbeben berief Seine Majestät König Mohammed VI. eine Arbeitssitzung ein, um eine Reihe von Maßnahmen zu verabschieden, „die eine schnelle Reaktion auf diese große Naturkatastrophe gewährleisten sollen“ (Industries Maroc, 2023). Dazu gehörten der Einsatz des Militärs, die Einsetzung einer interministeriellen Kommission zur Überwachung der humanitären Krise, die umfassende Versorgung der Opfer, die Einbindung der Mohammed-V-Stiftung für Solidarität und die Einrichtung eines Sonderkontos für einen Notfallfonds (Industries Maroc, 2023).

Konkret verteilte die Regierung Zelte, Decken, Kleidung und Matratzen an die betroffenen Familien, stellte Lebensmittel und Medikamente zur Verfügung, leistete psychologische Hilfe für traumatisierte Kinder und kündigte die Umsetzung eines Notfallplans zur Unterstützung der Erdbebenopfer an, einschließlich eines Plans zur Umsiedlung und zum Wiederaufbau der zerstörten Häuser (Figaro, 2023). Darüber hinaus wurden zahlreiche Ärzte und Krankenhäuser mobilisiert, um die Tausenden von Verletzten zu versorgen (Le Monde, 2023).

Darüber hinaus forderte Seine Majestät König Mohammed VI., dass die Waisenkinder, die nach dem verheerenden Erdbeben in Al Haouz ohne Familie und finanzielle Mittel zurückgeblieben sind, registriert werden und den Status einer „Pupille der Nation“ erhalten (APA News, 2023). Dieser Status wird durch das Gesetz Nr. 33-97 geregelt, das vorsieht, dass Kinder unter 20 Jahren im Falle des Todes, Verschwindens oder der Arbeitsunfähigkeit des Vaters oder des Hauptunterhaltspflichtigen in die Verantwortung des Staates fallen, der ihnen moralischen Schutz und materielle Unterstützung gewährt (Medias 24, 2023).

Seit dem 14. September 2023, weniger als eine Woche nach der Katastrophe, drängt Seine Majestät König Mohammed VI. auf eine Änderung des oben genannten Gesetzes, um die durch das Erdbeben verwaisten Kinder einzubeziehen (Medias 24, 2023).

Internationale Hilfe für Marokko

Auch die internationale Gemeinschaft hat schnell reagiert und Marokko humanitäre Hilfe zukommen lassen. Neben der humanitären Soforthilfe der australischen Regierung in Höhe von einer Million Dollar nahm Marokko auch Hilfe aus Großbritannien, Spanien, Tunesien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten an (France 24, 2023; ReliefWeb, 2023). Infolgedessen wurden Such- und Rettungsteams und Fahrzeuge, darunter auch militärische  Einheiten mit 56 Rettern, Spürhunden und 60 Spezialisten, vor Ort entsandt (Aljazeera, 2023).

Darüber hinaus wurden Rettungskräfte der Polizei, Ambulanzteams, Ärzte und Sanitäter mobilisiert (Aljazeera, 2023; The Guardian, 2023). Zusätzlich wurden fortschrittliche thermische Überwachungsgeräte, eine Drohne zum Aufspüren von Opfern unter den Trümmern, ein Feldlazarett und Rettungsausrüstung entsandt (Aljazeera, 2023; The Guardian, 2023).

Der Weg in die Zukunft für marokkanische Kinder

Die Reaktion und die Maßnahmen Marokkos auf die Folgen des Erdbebens sind ermutigend. Die Hilfs- und Rettungsmaßnahmen sowie die humanitäre Hilfe der internationalen Gemeinschaft sind jedoch nur ein Verband für die Wunde, deren wahre Auswirkungen noch weitgehend unbekannt sind. Die folgenden Initiativen müssen fortgesetzt und verstärkt werden, wobei abgelegenen und schwer zugänglichen Dörfern Vorrang eingeräumt werden muss:

  • Kontinuierliche Bereitstellung von Unterkünften, Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und medizinischer Hilfe sowie Nahrungsmitteln (ReliefWeb, 2023).
  • Die Bereitstellung von Kinderschutzdiensten, einschließlich psychosozialer Unterstützung, ist von entscheidender Bedeutung, um Kindern und Eltern zu helfen, mit ihren belastenden Erfahrungen umzugehen (ReliefWeb, 2023).
  • Sicherstellen, dass Kinder wieder zur Schule gehen (ReliefWeb, 2023)
  • Sicherstellen, dass der Wiederaufbauplan für zerstörte Häuser und Gebäude diese verstärkt und erdbebensicher macht (Figaro, 2023).
  • Unterstützung der vom Erdbeben betroffenen Bevölkerung bei der Wiederbeschaffung von Identitäts- und Verwaltungsdokumenten, die beim Einsturz von Häusern durch das Erdbeben zerstört wurden, und Sicherstellung, dass Kinder, die vorübergehend ohne Papiere sind, nicht ausgebeutet und missbraucht werden (Le Matin Maroc, 2023).

Angesichts der Tatsache, dass noch immer 674.892 Kinder in den vom Erdbeben schwer betroffenen Gebieten leben und 530 Schulen und 55 Internate beschädigt wurden, müssen die Kinder weiterhin im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, um ihre Sicherheit und ihre Grundrechte zu gewährleisten (UNICEF, 2023).

Als Kinderrechtsorganisation setzt sich Humanium mit zahlreichen Projekten weltweit für den Schutz der Menschenrechte von Kindern ein, insbesondere für ihr Recht auf Leben, Schutz und Bildung. Wenn Sie zu den Bemühungen von Humanium, das Leben der Kinder zu verbessern, beitragen möchten, erwägen Sie bitte eine Spende, eine ehrenamtliche Tätigkeit oder eine Mitgliedschaft.

Geschrieben von Moïra Phuöng Van de Poël

Übersetzt von Beate Dessewffy

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