Empfehlung zur Mitbestimmung von jungen Roma: ein Fortschritt für Roma-Kinder und -Jugendliche

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Am 5. April 2023 verabschiedete das Ministerkomitee eine neue Empfehlung an die 46 Mitgliedstaaten des Europarats, um eine substanzielle Beteiligung, Vertretung und Miteinbeziehung der jungen Roma in allen Bereichen der Gesellschaft und Entscheidungsprozessen zu gewährleisten und um strukturellen Rassismus zu bekämpfen. Dies ist ein wichtiger Fortschritt für Roma-Kinder und -Jugendliche, damit ihre Stimmen gehört und ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden.

Die aktuelle Situation junger Roma in Europa

In den meisten europäischen Gesellschaften haben es junge Roma schwer, ihre Rechte geltend zu machen und zu ihrer Identität und ethnischen Zugehörigkeit zu stehen. Armut, Ausgrenzung und fehlende Möglichkeiten stellen die Roma-Gemeinschaften vor schwierige Herausforderungen bei der Wahrung ihrer Menschenrechte (Roma Youth, 2023). Roma-Kinder und -Jugendliche stoßen sogar auf noch größere Schwierigkeiten: Schulabbruch und Fernbleiben von der Schule, Zwangsräumungen, Bettelei, Straßenkinder, Früh-/Kinderheirat, häusliche Gewalt, Menschenhandel und Prostitution sind nur einige der wichtigsten Beispiele (Roma Youth, 2023). 

Die Unterstützung und Förderung der Mitbestimmung und Inklusion junger Roma ist von zentraler Bedeutung für die Bewältigung der Herausforderungen, mit denen junge Roma in ganz Europa konfrontiert sind, insbesondere in Bezug auf ihre Selbstbestimmung und ihre Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen und -strukturen auf europäischer Ebene (Youth Roma, 2023).

In diesem Zusammenhang hat das Ministerkomitee eine neue Empfehlung an die 46 Mitgliedstaaten des Europarats herausgegeben, die eine substanzielle Mitbestimmung, Vertretung und Inklusion der jungen Roma in allen Gesellschaftsbereichen und Entscheidungsprozessen gewährleisten und den strukturellen Rassismus bekämpfen soll (Roma Youth Participation, 2023). 

Der rechtliche Rahmen für die Mitbestimmung von jungen Roma

Den Wendepunkt für die Mitbestimmung von jungen Roma stellt die Empfehlung CM/Rec(2023)4 dar, deren historische Wurzeln bis ins Jahr 2010 zurückreichen, als die „Straßburger Erklärung zur Situation der Roma” von den Mitgliedstaaten des Europarats verabschiedet wurde.

Seitdem haben viele weitere Empfehlungen den Rechtsrahmen zu verschiedenen Themen ergänzt, die die Roma-Gemeinschaften in ganz Europa betreffen, wie z. B. die interkulturelle Integration (Empfehlung CM/Rec(2022)10), die Einbeziehung der Geschichte der Roma und/oder Traveller in die Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien (Empfehlung CM/Rec(2020)2), der Zugang zur Justiz (Empfehlung CM/Rec(2017)10), die Staatsangehörigkeit von Kindern (Empfehlung CM/Rec(2009)13) und viele andere.

Darüber hinaus stimmt diese Empfehlung mit dem Roma-Jugendaktionsplan überein, der den Menschenrechten und dem interkulturellen Dialog als Antwort auf Diskriminierung und Antiziganismus sowie der Entwicklung und dem Kapazitätsaufbau von Roma-Jugendorganisationen und -bewegungen Priorität einräumt (Roma Youth Action Plan, 2011). Schließlich ist die Mitbestimmung von Roma-Jugendlichen auch ein Schlüsselelement gemäß dem Strategischen Aktionsplan für die Integration von Roma und Travellern (2020-2025) (Strategic Action Plan for Roma and Traveller Inclusion (2020).

Welche sind die Hauptthemen und -lösungen, die in der Empfehlung ausgesprochen werden?

Schwerpunkt intersektioneller Ansatz

Die Empfehlung visiert Diskriminierung, die sich auf Roma-Gemeinschaften auswirkt, unter verschiedenen Perspekten an: sozial, wirtschaftlich, kulturell, politisch und bürgerlich rechtlich, wobei ein intersektioneller Ansatz verfolgt wird. In der Empfehlung wird festgelegt, dass alle politischen Maßnahmen und Programme im Zusammenhang mit dieser Empfehlung die Vielfalt der Roma-Gemeinschaften respektieren und sich insbesondere mit der intersektionellen Diskriminierung von Roma-Mädchen und -Frauen, LGBTI+-Roma, muslimischen Roma und jungen, in isolierten und ländlichen Gemeinden lebenden Roma, befassen sollen (Roma Youth Participation, 2023). 

Um dieses Ziel zu erreichen, ist es wichtig, gegen strukturellen Rassismus, Ungleichheiten und politische Lücken vorzugehen, die eine substanzielle Mitbestimmung, Vertretung und Inklusion junger Roma im öffentlichen und politischen Leben, in Medien, Kunst und Kultur sowie in Entscheidungsprozessen und -strukturen auf allen Ebenen behindern: in Institutionen, Schulen, Nichtregierungsorganisationen (NRO) oder politischen Parteien, auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene.

Tatsächlich wirkt sich der strukturelle Rassismus negativ aus auf die Mitbestimmung von Roma-Jugendlichen an gesellschaftlichen und politischen Prozessen und Strukturen, auf ihr Selbstwertgefühl, ihren Stolz und ihr Wohlbefinden, ihr Erwachsenwerden, ihr Vertrauen in die Fairness von Institutionen und ihre Bereitschaft, sich zu ihren Wurzeln und Kulturen zu bekennen (Recommendation, 2023).

Bildung über Roma: Geschichte, Kultur und Antiziganismus

„Ein Volk, das seine Vergangenheit vergisst, ist dazu verurteilt, sie wieder zu erleben.”

– Winston Churchill

Um dies zu vermeiden, ist es unverzichtbar, die Anerkennung, das Gedenken, die Erinnerung und den Geschichtsunterricht über die Roma-Opfer des Holocaust, sowie anderer Formen staatlich geförderten Unrechts wie die Sklaverei, Zwangsadoption oder -trennung von Roma-Kindern von ihren Eltern und die Zwangssterilisierung von Roma-Frauen zu fördern (Recommendation, 2023). 

Die Mitgliedstaaten sollten Kurse über Antirassismus, intersektionelle Diskriminierung und interkulturelles Lernen für Vertreter:innen von Institutionen durchführen. Darüber hinaus sollten Staatsbedienstete mit Roma- und Nicht-Roma-Hintergrund gezielt geschult werden, um Kompetenzen zur Verhinderung und Bekämpfung von institutionellem Rassismus zu entwickeln. 

Kommunikation ist entscheidend

Kommunikation spielt eine wichtige Rolle. Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass wichtige Informationen auch in der Sprache der Roma zur Verfügung stehen, Roma gender-sensibel aufbereitet sind und junge, in isolierten und ländlichen Gebieten lebende Roma miteinbezogen werden. Des Weiteren sollten die Mitgliedstaaten die digitale Ausgrenzung bekämpfen, indem sie Ausbildungen in digitaler Kompetenz fördern und finanzieren, lokale digitale Zugangspunkte einrichten und isolierten Gemeinden und „digitalen Wüsten” Zugang zum Internet verschaffen.

Solide Partnerschaften aufbauen

Die Mitgliedstaaten sollten unter Einbeziehung von Roma-Verbänden oder Einzelpersonen mit Gleichstellungsbehörden und nationalen Menschenrechtsinstitutionen zusammenarbeiten, um ihre Instrumente und Maßnahmen zur Verhinderung und Bekämpfung von Diskriminierung, intersektioneller Diskriminierung und anderen Erscheinungsformen von strukturellem Rassismus und Antiziganismus zu stärken.

Die Vertragsstaaten des Europarats sollten die Kapazitäten der von Roma-Jugendlichen geleiteten Organisationen, Gruppen und Initiativen sowie der auf Roma-Jugendliche ausgerichteten Organisationen und Jugendzentren ausbauen und stärken. Damit könnten diese als Raum für die Ausübung ihrer Bürgerrechte fungieren, die Jugendarbeit und informelle Bildung fördern und als Ausdruck und zur Pflege ihrer kulturellen Identität, Sprache und Geschichte dienen.

Die Mitgliedstaaten sollten auch Gleichberechtigung für den Zugang von Roma-Jugendlichen zu Praktika, Ausbildungsplätzen und Stipendien in offiziellen Einrichtungen auf nationaler und lokaler Ebene sicherstellen und Jugendversammlungen, -räte, Schul- und Studentenräte und -gewerkschaften, NRO, Jugendstrukturen politischer Parteien und andere relevante Jugendorganisationen sowie beratende Gremien unterstützen.

Was kann die Zivilgesellschaft noch tun? 

Die Unsichtbarkeit der jungen Roma macht es schwierig, die festgefahrene Marginalisierung und Diskriminierung zu überwinden. Es ist von entscheidender Bedeutung, ihre politische Mitbestimmung und Vertretung besser zu gestalten; einerseits um Roma-Bürger:innen näher an die lokalen, nationalen und europäischen Entscheidungsgremien heranzuführen und andererseits auch ihre aktive Beteiligung und Interaktion mit der öffentlichen Verwaltung sowie ihre Präsenz im öffentlichen Raum zu verbessern (Strategic Action Plan for Roma and Traveller Inclusion, 2020). 

Einige von der EU oder dem Europarat gemeinsam finanzierte Programme wie  ROMED, ROMACT, ROMACTED haben bereits den Austausch von bewährten Verfahren ermöglicht, die Kommunalverwaltungen bei der Einbeziehung junger Roma in die Entscheidungsfindung unterstützen (Strategic Action Plan for Roma and Traveller Inclusion, 2020).

So wurde beispielsweise den Kommunalverwaltungen technische Hilfe zur Verfügung gestellt, um die Kapazitäten der Behörden für ein nachhaltiges politisches Engagement zu erhöhen und die Roma-Bürger:innen bei ihrer aktiven Beteiligung am politischen und öffentlichen Leben zu unterstützen.

Ein weiteres Beispiel für die Mitbestimmung und Inklusion junger Roma-Bürger:innen sind politische Roma-Schulen. Diese entstanden mit dem Ziel, Roma- und Traveller-Bürger:innen näher an die lokalen, nationalen und europäischen Entscheidungsgremien heranzuführen, inklusive derer, die sich auf lokaler, nationaler oder europäischer Ebene zur Wahl stellen wollen. 

Die Zivilgesellschaft, samt der wichtigsten Jugendräte und -organisationen, ist dazu aufgefordert, ihren Beitrag zur Umsetzung und Bewertung dieser Empfehlung zu leisten. In fünf Jahren soll eine Überprüfung stattfinden (Roma Youth Participation, 2023).

Die Sensibilisierung für die Bedeutung der Mitbestimmung von Roma-Jugendlichen ist der erste Schritt zur Förderung einer digitalen und analogen Plattform für Roma- und Nicht-Roma-Kinder und -Jugendliche, wo sie ihre Ansichten, Ideen und Sorgen über die Realität, in der sie leben, teilen und darüber nachdenken können, wie die Zukunft Europas und der Welt besser gestaltet werden kann.

Wir von Humanium engagieren uns für die Förderung einer sicheren und informativen digitalen Plattform, um darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, dass die Stimme der Roma-Jugend auf allen Ebenen der Gesellschaft gehört wird. Wenn auch Sie einen wertvollen Beitrag zu unserem Engagement leisten wollen, freuen wir uns über Ihre Patenschaft, Ihre Spende, Ihre ehrenamtliche Tätigkeit oder Ihre Mitgliedschaft bei Humanium!

Geschrieben von Arianna Braga

Übersetzt von Helga Burgat

Korrektur gelesen von Carolyn Deloffre

Referenzen: 

Recommendation (2023). Recommendation CM/Rec(2023)4 of the Committee of Ministers to member States on Roma youth participation, adopted by the Committee of Ministers on 5 April 2023 at the 1462nd meeting of the Ministers‘ Deputies. Retrieved from the Council of Europe at https://search.coe.int/cm/pages/result_details.aspx?objectid=0900001680aacef2, accessed on 15 April 2023. 

Roma Youth (2023). Roma Youth / Children. Retrieved from the Council of Europe at  https://www.coe.int/it/web/roma-and-travellers/roma-youth-/-children, accessed on 15 April 2023. 

Roma Youth Action Plan (2011). Roma Youth Action Plan (2011-2019). Retrieved from the Council of Europe at https://rm.coe.int/168046d02c, accessed on 15 April 2023. 

Roma Youth Participation (2023). Roma Youth Participation – Recommendation adopted by the Committee of Ministers. Retrieved from the Council of Europe at https://www.coe.int/en/web/youth/-/roma-youth-participation-recommendation-adopted-by-the-committee-of-ministers, accessed on 15 April 2023. 

Strategic Action Plan for Roma and Traveller Inclusion (2020). Strategic Action Plan for Roma and Traveller Inclusion (2020-2025). Retrieved from the Council of Europe at  https://rm.coe.int/coe-strategic-action-plan-for-roma-and-traveller-inclusion-en/16809fe0d0, accessed on 15 April 2023.