Die Kanadischen Gametenspendepraktik: Schutz der Rechte von durch Spender gezeugte Kindern

Posted on Posted in Gesundheit, Kinderrechte, Menschenrechte

Mit dem zunehmenden Einsatz künstlicher Befruchtung bei Menschen stellt die anonyme Gametenspende ein wachsendes Problem für die von Spendern gezeugten Kinder dar. In der Vergangenheit waren die von Spendern gezeugten Kinder in Bezug auf ihr körperliches und geistiges Wohlergehen nur minimal geschützt. Es ist äußerst wichtig, dass der Zugang zu überprüfbaren Informationen wie der Krankengeschichte des Spenders und aktuellen relevanten Gesundheitsinformationen sichergestellt wird, um das Wohl des Kindes in Kanada zu wahren.

Was ist eine anonyme Gametenspende?

Der Begriff „Gametenspende“ bezieht sich auf die Spende von Spermien und Eizellen. Zwar gibt es Unterschiede zwischen der Spende von Sperma und Eizellen, aber ihre anonyme Verwendung gibt Anlass zu ähnlichen Bedenken (Brandt, Wilkinson & Williams, 2021). Bei der Zeugung eines Kindes durch Gametenspenden werden Vereinbarungen zwischen Spendern, Wunscheltern und Ärzten oder Klinikern getroffen.

In der Vergangenheit wurden die Wunscheltern zu dem Glauben veranlasst, dass die Wahl eines anonymen Spenders verhindern würde, dass der Spender in ihr Leben und das ihrer Kinder eingreift (Kramer, 2022). Infolgedessen entstand eine Kultur der Geheimhaltung zwischen Patienten und Ärzten in Fruchtbarkeitskliniken. Die Rechte und Interessen von Kindern, die von Spendern gezeugt wurden, wurden in diesen Vereinbarungen selten oder gar nicht berücksichtigt.  

Assistierte menschliche Reproduktion in Kanada

Die assistierte menschliche Reproduktion wurde in Kanada erstmals Anfang der 1980er Jahre mit der Einrichtung von Kliniken für In-vitro-Fertilisation („IVF“) eingeführt (Yuzpe, 2019).  Kurz darauf wurde die Branche wegen der mangelnden Überwachung und Regulierung der IVF scharf kritisiert. Im Jahr 2004 wurde das Gesetz zur assistierten menschlichen Reproduktion (Assisted Human Reproduction Act) eingeführt, das besagt, dass identifizierende Informationen über einen Spender nicht ohne dessen Zustimmung weitergegeben werden dürfen (AHRA, 2004).

Heute ist die assistierte Reproduktion in Kanada nur unzureichend geregelt. Da die Gesetze kaum oder gar nicht durchgesetzt werden, sind alle Betroffenen, einschließlich der von Spendern gezeugten Kinder, nicht ausreichend geschützt. Zwar schreibt das Gesetz derzeit die Offenlegung ausgewählter nicht-identifizierender Informationen über den Spender vor, wie z. B. die Krankengeschichte, doch wird dies nicht wirksam durchgesetzt.

Außerdem sind die Spender nicht verpflichtet, ihre medizinischen Daten zu aktualisieren. Es können Probleme auftreten, wenn jüngere Spender, bei denen eine genetische Erkrankung anfangs weniger offensichtlich ist, erblich bedingte Gesundheitsprobleme, die sie nach der Spende entwickeln, nicht offenlegen.

Die internationalen Rechte der Kinder 

Es wurde geltend gemacht, dass das Recht auf Kenntnis der eigenen genetischen Herkunft durch internationales Recht geschützt ist. Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes enthält mehrere einschlägige Bestimmungen zur Spenderanonymität, darunter den Grundsatz des Kindeswohls und das Recht auf Information (Übereinkommen, 1989).

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die in dem Übereinkommen verankerten Rechte auch als Argument für die elterlichen Rechte genetischer Eltern herangezogen werden können. Wenn das Argument, genetische Eltern einzubeziehen, stichhaltig ist, müssten die Wunscheltern die Beziehungen zum Gametenspender ihres Kindes aufrechterhalten, während anonyme Spender sich dafür entscheiden können, anonym zu bleiben, um nicht in das Leben des Kindes einbezogen zu werden.

Gesundheitliche Risiken der anonymen Gametenspende

Der Gedanke an einen anonymen Spender mag für die Wunscheltern, die nicht wollen, dass der Spender in das Leben ihres Kindes eingreift, zwar beruhigend sein, aber die Forschung zeigt, dass dies nicht im besten Interesse der von Spendern gezeugten Kinder ist (Golombok, 2023).

Großes Bedenken bereiten den von Spendern gezeugten Menschen die Gesundheitsrisiken für sich selbst und ihre potenziellen Nachkommen, die sich aus der Krankengeschichte der Gametenspender ergeben können (White, 2018). Viele körperliche und psychische Erkrankungen sind erblich bedingt. Häufig treten diese Krankheiten erst im Erwachsenenalter auf und werden erst nach der Gametenspende festgestellt.

Die Kliniken informieren die Eltern oder die von Spendern gezeugten Kinder nur selten über die medizinischen Informationen des Spenders. Kenntnis über die jüngsten medizinischen Probleme des Spenders kann dabei helfen, die gesundheitlichen Bedürfnisse einzuschätzen und potenzielle genetische Probleme bei mit Spendern gezeugten Kindern zu erkennen. 

Psychosoziale Auswirkungen der anonymen Gametenspende

Es ist auch wichtig, die psychosozialen Auswirkungen zu bedenken, die die Anonymität auf die von Spendern gezeugten Kinder haben kann. Ein anonymer Spender kann bei den Kindern falsche Erwartungen wecken. Auch wenn nicht alle von Spendern gezeugten Kinder den Wunsch haben, ihren Spender zu finden, möchten sie vielleicht doch etwas über ihre ethnische und geografische Herkunft erfahren oder darüber, ob sie biologische Geschwister haben. 

Abgesehen von dem Trauma, von den Eltern getäuscht worden zu sein, können die von einem Spender gezeugten Kinder durch die anschließenden emotionalen Folgen von Geheimnissen innerhalb der Familie geschädigt werden. In vielen Fällen haben Spenderkinder das Gefühl, dass ihr Leben auf einer Lüge beruht, was zu Identitätsproblemen führt, und die Geheimhaltung der Lüge wird oft mit Scham assoziiert (Cameron & Gruben, 2017).

Gerichtsprozesse über die Rechte von Kindern, die durch Gemetenspende gezeugt wurden

Kanadische Gerichte haben sich mit den Interessen von Kindern befasst, die von einem Spender gezeugt wurden. Der Fall Pratten, der vor dem Obersten Gerichtshof von British Columbia verhandelt wurde, lieferte das stärkste bei Gericht vorgebrachte Argument für ein Verbot anonymer Gametenspender (Pratten, 2012). Die Klägerin Olivia Pratten wurde 1982 von einem anonymen Spender gezeugt.

Sie hatte das Gefühl, dass ihr ein Teil ihrer Identität fehlte, und war besorgt hinsichtlich ihrer anonymen genetischen Anamnese. Pratten argumentierte, dass das Recht, die eigene genetische Herkunft zu kennen, durch die Artikel „Gleichheit und Leben, Freiheit und Sicherheit der Person“ in der kanadischen Charta der Rechte und Freiheiten („Charter“) sowie durch internationales Recht geschützt sei (Charta, 1982). 

Das Gericht kam nicht zu dem Schluss, dass das internationale Recht das Recht auf „Kenntnis der eigenen Vergangenheit“ stützt, und akzeptierte auch keines der Argumente aus der Charta. Das Gericht sah keine Verpflichtung, Kindern, die von einem Spender gezeugt wurden, die persönlichen Daten von Dritten, die nicht ihre rechtlichen Eltern sind, zur Verfügung zu stellen.

Kanadas Zukunft

Technologische Fortschritte, wie z. B. DNA-Testkits für den Heimgebrauch, haben es fast unmöglich gemacht, die Anonymität der Spender zu wahren (British Sociological Association, 2023). Von Spendern gezeugte Kinder nutzen Gentests, soziale Medien und das Internet, um ihre genetische Herkunft zu ermitteln, und der Schutz der Spenderidentität ist nicht mehr möglich.

Anstatt zu versuchen, die Anonymität zu wahren, sollte Kanada Zugang zu verifizierten Spenderinformationen gewähren, um gesundheitliche und psychosoziale Schäden zu vermeiden. Dazu gehört auch, dass Eltern und von Spendern gezeugte Personen Zugang zu relevanten gesundheitlichen und psychosozialen Informationen erhalten, was im besten Interesse des Kindes ist.

Québec hat bereits das Recht auf Kenntnis der eigenen genetischen Herkunft bekräftigt, indem es den von Spendern gezeugten Personen Zugang zu detaillierten Informationen über ihre Herkunft gewährt, ohne die Spender zu verpflichten, ihre Identität preiszugeben (Projet de loi no 12, 2022).

Darüber hinaus sollte Kanada Rechtsvorschriften erlassen, die sicherstellen, dass Kinder, die von Spendern gezeugt wurden, über ihre Empfängnis und ihre genetische Herkunft informiert werden. Die Einrichtung eines Registers kann den Zugang zu überprüfbaren Informationen ermöglichen, z. B. zur Krankengeschichte und zu aktuellen Gesundheitsinformationen.

Humanium arbeitet hart daran, das Recht jedes Kindes auf eine gesunde Kindheit zu wahren. Unterstützen Sie Humanium beim Einsatz für die Jugend – durch Spenden, ehrenamtliche Arbeit oder eine Mitgliedschaft

Geschrieben von Kathleen Tereposky

Übersetzt von Daniel Rottleb

Korrektur gelesen von Birgit Puttock

Quellenangaben:

Assisted Human Reproduction Act (SC 2004, c. 2). Retrieved from Justice Laws Website at https://laws-lois.justice.gc.ca/eng/acts/a-13.4/fulltext.html, accessed on 15 May 2024. 

British Sociological Association. (2013). Anonymous sperm donors tracked down by their children using DNA tests, says research. Retrieved from Phys Org at https://phys.org/news/2023-04-anonymous-sperm-donors-tracked-children.html, accessed on 15 May 2024. 

Canadian Charter of Rights and Freedoms, Part I of the Constitution Act, 1982, being Schedule B to the Canada Act 1982 (UK), 1982, c 11, s 91(24).

Golombok, S., Jones, C., Hall, P., Foley, S., Imrie, S., & Jadva, V. (2023). A longitudinal study of families formed through third-party assisted reproduction: Mother–child relationships and child adjustment from infancy to adulthood. Retrieved from Developmental Psychology at https://psycnet.apa.org/fulltext/2023-63676-001.html, accessed on 15 May 2024. 

Gruben V. & Cameron A. (2017). Donor Anonymity in Canada: Assessing the Obstacles to Openness and Considering a Way Forward Vol 54, No 3: Special Issue: Health Law. Retrieved from Canlii at https://www.canlii.org/en/commentary/doc/2017CanLIIDocs73, accessed on 15 May 2024. 

Kramer, W. (2023). Why are Sperm and Eggs Still Sold Anonymously? Retrieved from Psychology Today at https://www.psychologytoday.com/ca/blog/donor-family-matters/202211/why-are-sperm-and-eggs-still-sold-anonymously, accessed on 15 May 2024. 

Pratten v B.C. (A.G.) (2012), 330 B.C.A.C. 229 (CA).Retrieved from the Supreme Court of Canada at https://www.scc-csc.ca/case-dossier/info/sum-som-eng.aspx?cas=35191, accessed on 15 May 2024. 

Projet de loi no 12 (2022) Loi visant principalement à promouvoir l’achat québécois et responsable par les organismes publics, à renforcer le régime d’intégrité des entreprises et à accroître les pouvoirs de l’Autorité des marchés publics, LQ 2022, c 18. Retrieved from Canlii at https://www.canlii.org/fr/qc/legis/loisa/lq-2022-c-18/derniere/lq-2022-c-18.html, accessed on 15 May 2024. 

R. Brandt, S. Wilkinson, & N. Williams (2021), The Donation and Sale of Human Eggs and Sperm. Retrieved from The Stanford Encyclopedia of Philosophy at https://plato.stanford.edu/entries/gametes-donation-sale/, accessed on May 15 2024.

UN General Assembly, Convention on the Rights of the Child, 20 November 1989, United Nations, Treaty Series, vol. 1577 at arts 2, 3, 7, 8, 9, 13 and 18.

White P. (2018). Moral Evils v. Health and Safety Evils: The Case of an Ovum “Obtained” from a “Donor” and Used by the “ Donor” in Her Own Surrogate Pregnancy. 31 Can. J. Fam. L. 55 at 16.

Yuzpe A. (2019). A Brief Overview of the History of InVitro Fertilization in Canada. Retrieved from Journal of Obstetrics and Gynaecology Canada at https://www.jogc.com/article/S1701-2163(19)30764-9/fulltext, accessed on 15 May 2024.