Bekämpfung der Diskriminierung muslimischer Kinder im indischen Bildungssystem

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Muslimische Kinder im indischen Bildungssystem sind mit Diskriminierung und Herausforderungen konfrontiert, die ihnen Zugang zu hochwertigen Lernmöglichkeiten erschweren. Muslime machen etwa 14 % der Bevölkerung aus, dennoch sind sie mit Problemen konfrontiert, wie sinkende Einschulungsraten, umstrittene Verbote religiöser Kleidung wie den Hidschab und die Schließung islamischer Schulen (Medresen). Diese Probleme verschärfen Bildungsunterschiede und führen zu einem Klima in Schulen, das von Vorurteilen und Islamophobie geprägt ist. 

Religiöse Bevölkerungsstruktur in Indien

In Indien bilden Hindus die größte religiöse Gruppe, die etwa 80 % der Bevölkerung ausmacht. Der Anteil der Muslime liegt bei etwa 14 % und stellt damit eine bedeutende Minderheit dar. Die restlichen 6 % der Bevölkerung bestehen aus verschiedenen Religionsgemeinschaften, darunter Christen, Sikhs, Buddhisten und Jains, die jeweils zu der religiösen Vielfalt der Nation beitragen (Pew Research Center, 2021).

Alle religiösen Gruppen haben in den letzten 70 Jahren ein Bevölkerungswachstum erlebt. Trotz des Vorwurfs einiger hinduistischer Gruppen eines regelrecht „strategischen Bevölkerungswachstums“ bei den Muslimen, zeigen Regierungsdaten jedoch, dass die muslimischen Geburtenraten schneller sinken als bei jeder anderen religiösen Gruppe in Indien. Zwischen 1992 und 2021 sank die durchschnittliche Zahl der Kinder pro muslimischer Frau von 4,41 auf 2,36, während sie bei Hindus von 3,3 auf 1,94 sank. Dennoch grenzt die Regierung Muslime, einschließlich muslimischer Kinder, zunehmend aus (Sharma, 2024).

Islamophobie an indischen Schulen

Ein Bericht aus dem Jahr 2006 hob die schwerwiegende Diskriminierung und Benachteiligung von Muslimen in Indien auf allen sozioökonomischen Ebenen hervor. Der Bericht unterstrich die „beklagenswerten Lebensumstände der Muslime“ in Bezug auf Armut, Bildung und Arbeit. Sieben Jahre später ergab eine Studie des U.S. India Policy Institute, dass sich die Situation für Muslime nicht signifikant verbessert hat, insbesondere im Bildungsbereich(Sacks, 2017).

Kritische Stimmen, wie die der Leiterin der Wirtschaftsabteilung am SNDT Women’s College in Mumbai, beklagten die spärliche Unterstützung der Regierung und bezeichneten die Fortschritte als marginal. Die Einschreibungsrate an Colleges unter Muslimen ist nach wie vor die niedrigste aller religiösen Gruppen in Indien: Nur 11 von 100 muslimischen Studenten absolvieren eine höhere Ausbildung. Diese Ungleichheit ist in ländlichen Gebieten, in denen die Mehrheit der indischen Bevölkerung lebt, noch ausgeprägter (Sacks, 2017).

Darüber hinaus beleuchtete ein literarisches Werk, das 2018 in Indien veröffentlicht wurde, die eskalierende Diskriminierung muslimischer Kinder in ausschließlich schulischen Umgebungen, was die zunehmende Verbreitung von Islamophobie widerspiegelt. Die Autorin Nazia Erum interviewte 145 Familien und 100 Kinder in 12 Städten und enthüllte Fälle, in denen Kinder schon im Alter von fünf Jahren aufgrund ihrer religiösen Identität Diskriminierung erfahren mussten. Viele Fälle werden aus Angst, dann als „Petzen“ zu gelten, nicht gemeldet, was zu einem Trend der Selbstzensur bei muslimischen Kindern führt (Pandey, 2018).

Bildungsschwierigkeiten muslimischer Schüler und Schülerinnen in Indien

Bildungsunterschiede für muslimische Schüler und Schülerinnen in Indien verschärfen sich. Jüngste Berichte zeigen einen Rückgang ihrer Einschulung auf allen Bildungsebenen. Ab 2019/20 sank die Einschreibung muslimischer Studenten und Studentinnen um 8 %. Hinzu kommt das umstrittene Verbot des Hidschab in den Bildungseinrichtungen von Karnataka, Indiens sechstgrößtem Bundesstaat, das 2021 eingeführt wurde (Citizens for Justice and Peace, 2023).

Dieses Verbot löste eine landesweite Debatte aus, die erhebliche Bedenken hinsichtlich der Diskriminierung der Rechte muslimischer Frauen und Mädchen aufkommen ließ. Ungefähr 1.010 Mädchen, die einen Hidschab trugen, verließen aufgrund des Verbots die voruniversitären Hochschulen in Karnataka. Der Zeitpunkt des Verbots, der nämlich mit den Jahresendprüfungen zusammenfiel, verschärfte die  Auswirkungen noch (Citizens for Justice and Peace, 2023).

Darüber hinaus hat der nordöstliche Bundesstaat Assam im Dezember 2020 ein Gesetz erlassen, das die Umwandlung aller islamischen Schulen (Medresen) in reguläre Bildungseinrichtungen vorschreibt. Der damalige Bildungsminister erklärte, dass dieser Schritt darauf abziele, gleiche Bildungsrechte für alle Kinder zu gewährleisten und den Zugang zur Hochschulbildung zu erleichtern. Es ist jedoch sehr umstritten, ob dieser Schritt sein beabsichtigtes Ziel in der Praxis auch wirklich erreicht (Mogul, 2024).

Beunruhigende Veränderungen im Schulsystem verstehen

Im Jahr 2024 ordnete das Oberste Gericht in Uttar Pradesh, dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat Indiens, den Transfer von Schülern und Schülerinnen aus islamischen Schulen (Medresen) in reguläre Institutionen an. Dies geschah unter dem Vorwand, die staatliche Pflicht zur säkularen Bildung zu betonen, kam damit aber eher dem Verbot des religionsspezifischen Unterrichts gleich(Mogul, 2024).

Es ist wichtig anzumerken, dass Medresen, die von der UNESCO für ihre historische Bedeutung anerkannt wurden, seit langem als universelle Zentren für Bildung und kulturelle Interaktion fungieren. Heute bieten sie weltweit noch ein breites Spektrum an Fächern an, darunter Theologie, Wissenschaft, Geschichte und Philosophie sowie Sprache, Literatur, Musik und Etikette (UNESCO, o.D.).

Medresen bieten in der Regel zusätzlich zu den Standardfächern Unterricht im Koran und in islamischer Geschichte an. Im Gegensatz dazu entscheiden sich einige Hindus für Gurukuls, bei denen die vedischen Schriften neben der konventionellen Ausbildung unter der Anleitung eines Gurus gelehrt werden (Mogul, 2024). Es ist jedoch bemerkenswert, dass die Regierung zwar Medresen ins Visier genommen hat, die vielen wirtschaftlich benachteiligten Schülern und Schülerinnen kostenlose Bildung anbieten, aber keine ähnlichen Maßnahmen gegen Gurukuls ergriffen hat (Roy, 2022).

Der Gerichtsbeschluss betrifft direkt rund 16.500 Medresen, ihre 1,95 Millionen Schüler und 100.000 Lehrer. Unter diesen Schülern sind auch viele Nicht-Muslime, vorwiegend Hindus. Die Schließung der Medresen könnte zu einem zusätzlichen Anstieg der Abbrecherquote unter Muslimen führen. Obwohl sie als effektive Bildungseinrichtungen dienen, gibt die Entscheidung, Medresen zu schließen, Anlass zur Sorge über Ungerechtigkeit und Intoleranz (Rahman, 2024).

Darüber hinaus verstößt diese Entscheidung auch direkt gegen Artikel 30, Absatz 1, der indischen Verfassung, der sprachlichen und religiösen Minderheiten das Grundrecht garantiert, Bildungseinrichtungen ihrer Wahl zu gründen und zu verwalten. Das Bildungsgesetz für Minderheiten der Nationalen Kommission von 2004 wurde erlassen, um diese Bildungsrechte zu schützen (NCMEI, o.D.).

Schritte zur Gleichberechtigung in Indien

Die Herausforderungen, mit denen muslimische Kinder konfrontiert sind, erfordern sofortige Aufmerksamkeit und eine solide Politik, um inklusive Bildung zu fördern, sozioökonomische Ungleichheiten anzugehen und Chancengleichheit zu gewährleisten.

Die gezielte Unterstützung marginalisierter Gemeinschaften und die Beseitigung von Hindernissen für ihre schulische und berufliche Weiterentwicklung sind von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus sind die Förderung der sozialen Inklusion, der wirtschaftlichen Stärkung und der politischen Vertretung von wesentlicher Bedeutung für die Verwirklichung der Gleichberechtigung in der indischen Gesellschaft (Citizens for Justice and Peace, 2023).

Darüber hinaus haben Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch berichtet, dass nationalistische Gruppen muslimische und andere religiöse Minderheiten bedroht und schikaniert haben, ohne unter der derzeitigen Regierung mit Konsequenzen rechnen zu müssen (Sharma & Das, 2024). Um das Problem anzugehen, müssen die Bedrohung und Belästigung religiöser Minderheiten zu Konsequenzen für diese nationalistischen Gruppen führen. Dies beinhaltet die Durchsetzung von Antidiskriminierungsgesetzen und die Umsetzung einer Politik zur Förderung von Toleranz und Inklusion.

Humanium hat erhebliche Erfolge bei der Förderung von Inklusivität und Gleichheit für alle Kinder in Indien erzielt, unabhängig von ihren religiösen Überzeugungen. Seit 2009 bekämpfen wir in Partnerschaft mit Hand in Hand India Diskriminierung durch Projekte wie das Residential Special Training Centre in Madhya Pradesh.

Diese Initiative bietet ehemaligen Kinderarbeitern weiterhin Bildung und Unterstützung und verbessert so ihre Lebensbedingungen erheblich.Wenn Sie unser Anliegen unterstützen und uns helfen möchten, unsere Mission fortzusetzen, eine bessere Zukunft für Kinder in Indien zu gewährleisten, so werden Sie doch ehrenamtlich tätig, spenden Sie oder übernehmen Sie eine Patenschaft für ein Kind.

Geschrieben von Lidija Misic

Übersetzt von Susanne Russell

Korrektur gelesen von Katharina Wilhelm

Bibliographie:

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Mogul Rhea (2024), Court ruling effectively outlaws Islamic schools in India’s most populous state. Retrieved from CNN at https://edition.cnn.com/2024/03/24/india/india-madrasa-court-ruling-uttar-pradesh-intl-hnk/index.html, accessed on June 26, 2024.

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