Die Zunahme an Entführungen von Frauen und Kindern versetzt Haiti in Angst und Schrecken

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Haiti hat mit einer erschreckenden Zunahme von Entführungen zu kämpfen, von denen etwa drei Millionen Kinder betroffen sind, die in einem permanenten Zustand der Angst leben. Die tiefgreifenden Auswirkungen auf das Leben dieser jungen Menschen werden noch dadurch verschlimmert, dass sie nur begrenzt in der Lage sind, solche traumatischen Erlebnisse vollständig zu verarbeiten. Diese Krise hat ihre Wurzeln in der Kolonialgeschichte des Landes, die noch verstärkt wurde durch eine Reihe von Naturkatastrophen und durch politische Instabilität. Die Zunahme der Entführungen stellt nicht nur eine ernste Bedrohung für die Menschen in Haiti dar, sondern auch für diejenigen, die Hilfe anbieten wollen.

Überblick über die Entführungen

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 gab es fast 300 bestätigte Fälle von Entführungen im Land. Diese Zahl entspricht fast der Gesamtzahl der Entführungen im Jahr davor (2022) und ist fast dreimal so hoch wie im Jahr 2021 (UNICEF, 2023). Der Anstieg hat ein Klima der Angst und des Terrors geschaffen, da Frauen und Kinder am helllichten Tag auf der Straße entführt werden. Diese Situation hat dazu geführt, dass etwa 5,2 Millionen Menschen in Haiti, darunter etwa 3 Millionen Kinder, in ständiger Bedrohung leben (UNICEF, 2023).

Die Hauptstadt Port-au-Prince ist dabei das Epizentrum für bandenbedingte Gewalt. Bei Auseinandersetzungen zwischen Banden wurden Schüler und Lehrer verletzt, und in der Nähe von Schulen kam es vermehrt zu Entführungen von Eltern und Schülern, was Schulschließungen zur Folge hatte. Erschwerend kommt hinzu, dass die chronische Instabilität die Menschen zur Flucht gezwungen hat, so dass mindestens 160.000 Menschen auf der Flucht sind. Infolge des starken Preisanstiegs leiden diese Menschen auch unter Nahrungsmittelknappheit, und einige müssen sogar Hunger leiden (Hurtado M, 2023).

Gravierende Auswirkungen auf Kinder

Viele Kinder und ihre Familien suchen verzweifelt Zuflucht in religiösen Gemeinschaften oder Schulen, weil sie dringend lebenswichtige Güter wie Nahrungsmittel benötigen, und sie ihren Bedarf nicht selbst decken können. Diese akute Bedürftigkeit trägt erheblich zu der allgemeinen Notlage Hunderter von Kindern in Haiti bei.

Von Kleinkindern bis hin zu Teenagern schlafen sie aufgrund der unsicheren Lebensbedingungen in Klassenzimmern. Diese Kinder, die bereits mit dem Trauma ihrer Erlebnisse zu kämpfen haben, sind nun mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert, während sie versuchen, ihr Leben wieder aufzubauen und ein Gefühl der Kontrolle wiederzuerlangen (BBC, 2022).

Die Auswirkungen dieser traumatischen Ereignisse auf Kinder sind tiefgreifend, da ihnen die psychologische Fähigkeit fehlt, solche Erlebnisse vollständig zu erfassen und zu verarbeiten. Einige Kinder entwickeln aufgrund des Traumas, das sie erlitten haben, sogar psychische Störungen.

In diesem Zusammenhang spielt eine solide Unterstützung sowohl durch Erwachsene als auch durch Institutionen eine entscheidende Rolle, um diesen Kindern zu helfen, diese schwierigen Erfahrungen zu bewältigen. Nach traumatischen Ereignissen können sie in der Traumapädagogik und in der Gemeinschaft Unterstützung finden, die ihnen die Genesung erleichtert und ein Gefühl der Sicherheit in ihrem Leben wiederherstellt (Center for the Study of Traumatic Stress, n.d.).

Mögliche Ursachen für die zunehmenden Verschleppungen

Die Geschichte des Landes ist durch den Kolonialismus gezeichnet, der das Land nach einer Vielzahl von Herausforderungen in einem fragilen Zustand zurückgelassen hat. Als ehemalige Kolonie der Vereinigten Staaten und Frankreichs hat das Land nicht nur mit seinem kolonialen Erbe zu kämpfen.

Über Generationen hinweg sah man sich mit den Folgen der „Reparationszahlungen“ an Frankreich, das Land, welches das Volk von Haiti versklavt hatte, konfrontiert. Diese Reparationen, die oft einen erheblichen Teil der Staatseinnahmen ausmachten, haben das Wirtschaftswachstum des Landes stark belastet (Bland A, 2023).

Darüber hinaus hat es in Haiti seit 2019 keine funktionierenden Wahlen mehr gegeben, und seit dem verheerenden Erdbeben von 2010, das bis zu 300 000 Menschen das Leben kostete, herrscht in dem Land zunehmende Fragilität. Das Land musste weitere Katastrophen ertragen, darunter den zerstörerischen Hurrikan Matthew im Jahr 2016. Mit der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse im Juli 2021 spitzte sich die Lage weiter zu. Nur einen Monat später erschütterte ein weiteres Erdbeben das Land und stürzte Haiti noch tiefer ins Chaos (Al Jazeera, 2023).

Seit der Ermordung des Präsidenten hat die Bandengewalt in beunruhigender Weise zugenommen und die ohnehin schon weit verbreitete politische Instabilität des Landes noch aggraviert. Nach Angaben der Vereinten Nationen haben bewaffnete Banden ihre Kontrolle über große Teile der Hauptstadt ausgeweitet.

In diesen Gebieten setzen sie Mord, Entführung und sexuelle Gewalt ein, um ihre Macht und ihren Einfluss zu vergrößern und die lokale Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen (Al Jazeera, 2023). Diese miteinander verflochtenen Faktoren haben den Staat in eine Krise gestürzt, die neben internationaler Unterstützung auch interne Reformen erfordert, um die tief verwurzelten Probleme anzugehen und den Weg für eine stabilere Zukunft und mehr Wohlstand zu ebnen.

Reaktion der Regierung und internationale Hilfe

Haiti hat die UN-Konvention über die Kinderrechte ratifiziert und sich damit verpflichtet, die Rechte der Kinder zu wahren. Die tatsächliche Verwirklichung dieser Rechte stößt jedoch auf erhebliche Hürden. Infolge der anhaltenden Bandenkriminalität benötigen diese Kinder dringend lebensnotwendige Dinge wie sauberes Wasser, sanitäre Einrichtungen und ausreichend Nahrung, die für viele von ihnen nach wie vor knapp sind. Darüber hinaus verlassen viele Kinder die Schule vorzeitig, und einige haben sogar nie die Möglichkeit, zur Schule zu gehen (The World’s Children’s Prize, n.d.).

Die Zunahme an Entführungen stellt nicht nur für die Menschen in Haiti eine ernste Bedrohung dar, sondern auch für diejenigen, die Unterstützung vor Ort anbieten möchten. Diese Ereignisse haben das örtliche Gesundheitssystem unter immensen Druck gesetzt und es an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Darüber hinaus sind Schulen zur Zielscheibe dieser gewalttätigen Banden geworden, so dass es immer schwieriger wird, die dringend benötigte Hilfe und Unterstützung für die betroffenen Gemeinden zu leisten (France 24, 2023).

Als Reaktion auf die sich zuspitzende Krise in Haiti hat Kenia bereits die Führung einer multinationalen Friedenstruppe übernommen, um die überforderten Sicherheitskräfte zu unterstützen und dem angeschlagenen Land zu helfen (France 24, 2023). Gleichzeitig sollte die haitianische Regierung Reformen in den Bereichen Sicherheit und Regierungsführung priorisieren, in Bildung und Gesundheitsversorgung investieren und auf langfristige Stabilität hinarbeiten, um das Leid der Bevölkerung zu lindern und eine bessere Zukunft für die Kinder aufzubauen.

Als globale Nichtregierungsorganisation, die sich für das Wohlergehen von Kindern einsetzt, verurteilt Humanium unmissverständlich die schreckliche Situation durch die Bandengewalt in Haiti und erkennt die eklatante Verletzung des Rechts aller Kinder auf ein sicheres Umfeld an. Wenn Sie uns unterstützen möchten, können Sie spenden, eine Patenschaft für ein Kind übernehmen oder als Ehrenamtliche/r in einem unserer Projekte mitarbeiten.

Verfasst von Lidija Misic

Übersetzt von Katharina Wilhelm

Korrektur gelesen von Beate Dessewffy

Quellenverzeichnis:

Al Jazeera (2023), ‘Extremely worrisome’: Kidnappings of women, children surge in Haiti. Retrieved from Al Jazeera at https://www.aljazeera.com/news/2023/8/7/extremely-worrisome-kidnappings-of-women-children-surge-in-haiti, accessed on October 28, 2023.

BBC (2022), Haiti gang violence: Children take shelter in school. Retrieved from BBC at https://www.bbc.com/news/world-latin-america-62274255, accessed on October 28, 2023.

Bland Archie (2023), Haiti crisis: how did it get so bad, what is the role of gangs, and is there a way out? Retrieved from The Guardian at https://www.theguardian.com/world/2023/jan/12/haiti-crisis-jovenel-moise-gangs-water-way-out, accessed on October 28, 2023.

Center for the Study of Traumatic Stress (n.d.), The Impact of Kidnapping, Shooting and Torture on Children. Retrieved from Center for the Study of Traumatic Stress at https://www.cstsonline.org/assets/media/documents/CSTS_impact_kidnapping_shooting_torture_children.pdf, accessed on October 28, 2023.

France 24 (2023), ‚Alarming‘ rise in kidnapping of Haiti children, women: UNICEF. Retrieved from France 24 at https://www.france24.com/en/live-news/20230807-alarming-rise-in-kidnapping-of-haiti-children-women-unicef, accessed on October 28, 2023.

Hurtado Marta (2023), Haiti – gang violence. Retrieved from OHCHR at https://www.ohchr.org/en/press-briefing-notes/2023/03/haiti-gang-violence, accessed on October 28, 2023.

The World’s Children’s Prize (n.d.), How are Haiti’s children? Retrieved from The World’s Children’s Prize at https://worldschildrensprize.org/haiti, accessed on October 28, 2023.

UNICEF (2023), Kidnappings of children and women spiking at alarming rates in Haiti. Retrieved from UNICEF at https://www.unicef.org/press-releases/kidnappings-children-and-women-spiking-alarming-rates-haiti, accessed on October 28, 2023.