Islands Investitionen in die zukünftige Entwicklung und das Wohlergehen von Kindern

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In der Literatur finden sich zahlreiche Argumente dafür, warum es sinnvoll ist, in Kinder zu investieren. Viele dieser Argumente sind intuitiv ansprechend oder basieren auf moralischen Argumenten, die sich auf die Menschenrechte im Allgemeinen und die Rechte der Kinder im Besonderen beziehen.

Andere Argumente liefern Zusammenfassungen unvollständiger Belege bezüglich der wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen, die Investitionen in Kinder entweder für die Kinder selbst, für ihre Gemeinschaften oder für beide (Van Damme et al., 2023) haben. Die isländische Gesetzesinitiative mit dem Namen „Prosperity Act“ hat zweifelsohne bewiesen, dass Investitionen in Kinder für den künftigen Wohlstand und das Wohlergehen der Kinder von großem Nutzen sind.

Wer profitiert von Investitionen in Kinder?

Wir alle. Die Hauptnutznießer sind Kinder und ihre Eltern. Wenn beispielsweise Eltern mit geringem Einkommen in der Lage sind, für ihr Kind einen Platz in einer qualitativ hochwertigen Kindertagesstätte zu bekommen, profitiert das Kind wahrscheinlich von einem breiteren Spektrum an Lernmöglichkeiten, als es zu Hause haben könnte. Die Aufnahme des Kindes in einer Kindertagesstätte kann den Eltern auch die Möglichkeit eröffnen, eine Beschäftigung aufzunehmen oder sich weiterzubilden, um ihre Berufsaussichten zu verbessern. (Karoly, 2015).

Die untersuchte Literatur deutet darauf hin, dass die Erträge aus Investitionen in kinderrelevante Sektoren nicht nur den direkten Empfängern zugutekommen, sondern auch der breiteren Gesellschaft in Form von sozioökonomischen Erträgen. Öffentliche Investitionen in kinderrelevante Sektoren führen zu Ergebnissen der menschlichen Entwicklung in Form von verbesserter Gesundheit und Bildung (Humankapital). 

Diese Ergebnisse sorgen für eine produktivere und innovativere nationale Erwerbsbevölkerung, was zu einer Steigerung der (Arbeits-)Produktivität sowie zu mehr Beschäftigung und Wirtschaftswachstum führt. Dies wird durch eine Vielzahl internationaler Belege nachgewiesen, unter anderem für Ernährung, Gesundheit, Bildung, Kinderschutz und Sozialschutz (Van Damme et al., 2023).

Investitionen in die Armutsbekämpfung und die Verbesserung des Sozialschutzes

Der Sozialschutz hat das Potenzial, soziale und wirtschaftliche Schwachstellen zu bekämpfen, aber auch zu anderen Entwicklungsherausforderungen beizutragen. Dazu gehören unter anderem das Wirtschaftswachstum, die nationale Armutsbekämpfung und die Entwicklung des Humankapitals. Internationale Erkenntnisse bestätigen, dass der Sozialschutz ein Einkommensmultiplikator ist und folglich das lokale Wirtschaftswachstum fördert sowie den Zusammenhalt der Gemeinschaft unterstützt, Investitionen fördert und die Produktivität steigert (Van Damme et al., 2023). 

Eine länderübergreifende Studie, in der Bangladesch, Kolumbien, Costa Rica, Georgien, Ghana, Indien, Ruanda und Serbien verglichen wurden, ergab beispielsweise, dass eine Investition in Höhe von 1 Prozent des BIP in den Sozialschutz einen Multiplikatoreffekt auf das BIP von 0,7 bis 1,9 hat. Sozialschutzinvestitionen in Ländern mit einem niedrigeren Pro-Kopf-BIP (Bangladesch, Indien und Ruanda) hatten den höchsten Multiplikatoreffekt auf das BIP. 

In derselben Studie führte eine Investition in den Sozialschutz in Höhe von 1 % des BIP zu einem begrenzten Multiplikator von 0,1 bis 1,1, der auf den Anstieg des Humankapitals und die daraus resultierende Produktivität der Arbeitskräfte des Landes zurückzuführen ist. Dieser Beschäftigungsmultiplikator war für Frauen am größten, was die Rolle des Sozialschutzes bei der Verringerung geschlechtsspezifischer Ungleichheiten in der Beschäftigung verdeutlicht (Van Damme et al., 2023).

In diesem Zusammenhang sind auch Investitionen in die Gesundheit und Ernährung von Müttern und Kindern (MCHN) wichtig, da die Unterernährung von Kindern, einschließlich der Unterernährung von Müttern, eng mit Morbidität und Mortalität verbunden ist und weltweit die Hauptursache für schlechte Gesundheit ist (Van Damme et al., 2023). 

Investitionen in Bildung

Die Beziehung zwischen Bildung und Wirtschaftswachstum wurde seit den 1960er Jahren umfassend empirisch untersucht. Im Allgemeinen wurde in fast allen untersuchten Studien ein starker positiver Zusammenhang zwischen dem Wirtschaftswachstum und der durchschnittlichen Anzahl von Bildungsjahren festgestellt.

Neuere Studien ergaben, dass jedes zusätzliche Schuljahr eine Steigerung des Pro-Kopf-BIP in Höhe von etwa oder mindestens 10 Prozent bewirkt, wobei die Ergebnisse darauf hindeuten, dass der hohe wirtschaftliche Nutzen von Anfangsinvestitionen in Bildung länderübergreifend und über die Zeit hinweg Bestand hat. 

Die COVID-19-Pandemie ermöglichte es, die Auswirkungen von Schulschließungen und – in einigen Ländern – von Kürzungen des Bildungsbudgets auf den Schulbesuch zu beobachten. Eine aktuelle Studie schätzt, dass aufgrund von Schulschließungen bis 2030 weltweit Lohneinbußen in Höhe von 121,54 Milliarden US-Dollar entstehen werden (Cohen et al., 2022). Daten aus den G20-Staaten zeigten auch, dass eine viermonatige Schulschließung einen durchschnittlichen Rückgang des BIP um 1,5 Prozent verursachen könnte. 

Dies steht im Einklang mit der vorangegangenen Studie, die aufgrund der Lernverluste durch die Schulschließungen der letzten beiden Jahre einen globalen BIP-Rückgang von 1,11 % im Jahr 2030 schätzt. Die tatsächliche Auswirkung ist jedoch schwer abzuschätzen, da die Folgen der Pandemie auch nach der Wiedereröffnung der Schulen noch lange andauern und es eine Vielzahl von Faktoren gibt, die künftige Schätzungen beeinflussen werden (Van Damme et al., 2023). 

Investitionen in den Kinderschutz

Der Schutz von Kindern umfasst viele Bereiche wie Kinderheirat, Schwangerschaft von Kindern/Jugendlichen, Gewalt gegen Kinder, Kinderarbeit und vieles mehr. Was die Kinderehe betrifft, so ist der Zusammenhang zwischen ihrer Verhinderung und ihren wirtschaftlichen Auswirkungen nicht so einfach zu beziffern.

Die Bekämpfung von Kinderehen wirkt sich auf soziodemografische Indikatoren wie frühe Schwangerschaften und Geburten, Schulbesuch und Schulabschluss aus, was wiederum Wirtschaftsindikatoren sowohl auf privater als auch auf öffentlicher Ebene beeinflussen kann. 

So ist beispielsweise die Heirat eine der Hauptursachen für Schulabbrüche, besonders bei Mädchen. Sobald ein Kind verheiratet ist, ist es weniger wahrscheinlich, dass es die Schule wieder besucht oder abschließt. Einige Studien erbringen den Nachweis, dass jedes zusätzliche Jahr in der Sekundarstufe die Wahrscheinlichkeit einer Kinderheirat um durchschnittlich 6 Prozentpunkte verringert (Van Damme et al., 2023). 

Der Nutzen des globalen Wohlstands durch weniger Kinderschwangerschaften wird bis 2030 auf 566 Milliarden US-Dollar geschätzt. Dies wurde auch in einer in Uganda durchgeführten Studie festgestellt, in der die Weltbank berechnete, dass die Verringerung von frühen Schwangerschaften durch eine geringere Zahl von Geburten im jungen Alter und ein höheres Bildungsniveau bis 2030 einen jährlichen Nutzen in Höhe von 2,4 Mrd. USD bringen wird (Van Damme et al., 2023). 

Letztendlich ist der Zusammenhang zwischen dem Versäumnis, Gewalt gegen Kinder zu verhindern, und damit einhergehenden wirtschaftlichen Verlusten überwiegend indirekt. Die direkten Auswirkungen sind sowohl psychologisch als auch physisch und äußern sich in Lernverlusten oder schweren (psychischen) Gesundheitsproblemen, die zu einer erhöhten Erkrankungsrate, verringerter Produktivität und wirtschaftlichen Verlusten führen. 

Der isländische „Prosperity Act“ – ein Meilenstein für Investitionen in Kinder

Island ist eines der fortschrittlichsten europäischen Länder bei der Förderung von Investitionen in Kinder. Es hat vor kurzem den „Prosperity Act“ verabschiedet, der das Herzstück umfassender Änderungen ist, die die isländische Regierung in den letzten Jahren zur Förderung der Kinderrechte und zur Steigerung des Wohlstands der Kinder in Island durchgeführt hat.

Gemäß dem Gesetz sind alle Dienstleistungsanbieter verpflichtet, stärker als bisher integriert zusammenzuarbeiten, wobei das Hauptziel darin besteht, sicherzustellen, dass Kinder, die integrierte Dienstleistungen benötigen, zusammen mit ihren Bezugspersonen angemessenen und ungehinderten Zugang zu der von ihnen benötigten Unterstützung erhalten (CoE, 2023). 

Der „Prosperity Act“ fordert eine erhebliche Aufstockung der Investitionen der Regierung in Dienstleistungen für Kinder und Familien. Um eine Evidenzbasis für diese Investitionen zu schaffen, wurde eine umfassende monetäre und wirtschaftliche Bewertung durchgeführt. Die Ergebnisse führten zu einem Paradigmenwechsel innerhalb der isländischen Regierung. Die Ausgaben für das Wohlergehen und den Wohlstand von Kindern werden nicht mehr als Kosten sondern als Investitionen betrachtet (CoE, 2023). 

Insbesondere beschloss die isländische Regierung, die Dienste im Interesse des Wohlergehens der Kinder zu reformieren und sie in drei Stufen zu unterteilen: Dienste der primären, sekundären und tertiären Ebene. Zu den Diensten der primären Ebene gehören Basisdienste und frühe Hilfen für alle Kinder und Familien, zu den Diensten der sekundären Ebene gehören gezieltere Hilfen und Ressourcen, während die Dienste der tertiären Ebene spezialisierte Hilfsressourcen umfassen, um Fälle abzusichern, in denen das Wohlergehen eines Kindes gefährdet ist oder sein könnte (BVS, 2023). 

Nach diesem Paradigmenwechsel hat die isländische Regierung großen Wert auf die Durchführung weiterer wirtschaftlicher Bewertungen gelegt und gleichzeitig Schlüsselindikatoren für das Wohlergehen von Kindern entwickelt, die in einem jährlich veröffentlichten Dashboard dargestellt werden (CoE, 2023).

Es besteht aus fünf Dimensionen, die auf den allgemeinen Grundsätzen der UN_Kinderrechtskonvention beruhen: Bildung, Gleichheit, Gerechtigkeit, Gesundheit und Wohlergehen, Sicherheit und Schutz sowie soziale Teilhabe. Das Dashboard liefert Informationen, die bei der Priorisierung von Projekten und Finanzierungen sowie bei der Entwicklung von Strategien durch die Regierung und die Gemeinden verwendet werden können (BVS, 2023). 

“Der isländische Minister für Bildung und Kinder hat überzeugend dargelegt, wie Investitionen in Kinderschutz und Gewaltprävention eine hohe, langfristige Präventionsdividende erzeugen. Wenn wir öffentliche Gelder in den Bau von Straßen und Brücken stecken, wird dies als Investition betrachtet, wenn wir öffentliche Gelder in die Unterstützung von Kindern stecken, wird dies als eine Ausgabe von Steuergeldern wahrgenommen. Höchstwahrscheinlich ist die Rendite für die Gesellschaft – die Dividende – bei Kindern höher als bei Brücken.”

Morten Kjærum, Head of the Raoul Wallenberg Institute of Human Rights and Humanitarian Law (Raoul Wallenberg Institute, 2023)

Der „Prosperity Act“ verpflichtet verschiedene Organisationen zur Zusammenarbeit, um sicherzustellen, dass Kinder und ihre Bezugspersonen problemlos die Hilfe und Unterstützung erhalten, die sie benötigen, um das Leben der Kinder im Land zu verbessern. Die Verpflichtung der Regierung, die internationalen Standards zum Schutz der Kinderrechte zu übernehmen, wurde auch eingebunden durch finanzielle Mittel und Maßnahmen, um dies in die Praxis umzusetzen.

Tatsächlich investierte die Regierung mehr in Dienstleistungen für Kinder und Familien und stellte fest, dass es sich um eine gute Investition handelte, da sie eine Rendite von 9,6 % erbrachte, was mehr ist als das, was die Regierung bei anderen großen Projekten erhalten würde (CoE, 2023). 

Dem isländischen Beispiel folgen, um die Rechte der Kinder weltweit zu verbessern

Island hat bewiesen, dass ein Paradigmenwechsel bei den Investitionen in Kinder nicht nur möglich, sondern auch für alle von Vorteil ist: Kinder können Zugang zu besseren und mehr Dienstleistungen und Möglichkeiten haben, Eltern können stärker unterstützt werden, private und öffentliche Einrichtungen können von der Vernetzung und Zusammenarbeit profitieren und die Gesellschaft als Ganzes kann von mehr Kompetenzen, Ressourcen und Fähigkeiten profitieren, die im Interesse aller eingesetzt werden können, in der Gegenwart und in der Zukunft.

In Island dauerte es fünf Jahre bis der „Prosperity Act“ verabschiedet wurde, da die Regierung die Entscheidung getroffen hatte, allen Beteiligten in der Gesellschaft zuzuhören: Kindern und Eltern, dem öffentlichen und privaten Sektor, dem tertiären Sektor, Diensten, Organisationen usw.

Andere Regierungen sollten bei der Gestaltung ihrer Politik einen ähnlich langfristigen Ansatz verfolgen, der alle politischen Parteien zusammenbringen könnte, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, und die gesamte Gesellschaft sollte in den Prozess einbezogen werden. 

Wir von Humanium glauben fest an die Kraft des Austauschs bewährter Praktiken und erfolgreicher Erfahrungen im Zusammenhang mit Kinderrechten. In diesem Sinne ist es Teil unserer Mission, Islands Engagement für Investitionen in Kinder zu teilen und das Bewusstsein für die damit verbundenen Vorteile zu schärfen, um andere Regierungen, öffentliche und private Institutionen aufzufordern, ihre Rolle bei der Verabschiedung und Umsetzung neuer Formen der Gesetzgebung, die mehr Investitionen in Kinder vorsehen, zu übernehmen.

Wir bitten auch die Bürgerinnen und Bürger, sich mit uns für eine kinderfreundlichere Gesellschaft einzusetzen. Schließen Sie sich Humanium an, indem Sie eine Patenschaft für ein Kind übernehmen, eine Spende tätigen,  Mitglied werden oder eine ehrenamtliche Tätigkeit bei Humanium übernehmen

Geschrieben von Arianna Braga

Übersetzt von Elke Schöpf

Korrektur gelesen von Beate Dessewffy

Referenzen:

BVS (2023). Integration of Services in the Interest of Children‘s Prosperity. Retrieved from BVS at https://www.bvs.is/media/almenningur/samthaetting_tjonustu_handout_ens_v4.pdf, accessed on 29 April 2023. 

CoE (2023). Reykjavik conference: Investing in children – the key to prosperity. Retrieved from CoE at  https://www.coe.int/en/web/portal/-/reykjavik-conference-investing-in-children-the-key-to-prosperity, accessed on 29 April 2023. 

Cohen S., Chakravarthy S., Bharathi S., Narayanan B., Park C. (2022). Potential Economic Impact of COVID-19-Related School Closures. Asian Development Bank. Retrieved from the Asian Development Bank at https://www.adb.org/publications/economic-impact-covid-19-related-school-closures, accessed on 29 April 2023. 

Mueller, H. (2013). The Economic Cost of Conflict (IGC Report). Retrieved from the International Growth Centre at  https://www.theigc.org/sites/default/files/2014/09/Mueller-2013-Working-Paper2.pdf, accessed on 29 April 2023. 

Raoul Wallenberg Institute (2023). Moving Forward in the Struggle to Fight Violence Against Children. Retrieved from Raoul Wallenberg Institute at https://rwi.lu.se/news/moving-forward-in-the-struggle-to-fight-violence-against-children/, accessed on 1 May 2023. 

Van Damme C., Llewellin P., De Neubourg C., Karpati J. (2023). Economic Case for Investing in Children – Literature Review and Analysis. Retrieved from Save the Children UK at https://resourcecentre.savethechildren.net/pdf/Economic-Case-for-Investing-in-Children-Literature-Review-and-Analysis.pdf/, accessed on 29 April 2023.